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In vollen Zügen genoss Gamay Trout das Erlebnis, in einem von Elwood Marchetti konstruierten Luftschiff mit zwanzig Knoten Geschwindigkeit keine zehn Meter über den Wellen des Ozeans dahinzugleiten.
Es einen Blimp zu nennen wäre für das schlanke, elegante Luftfahrzeug eine Beleidigung gewesen. Die Mannschaftskabine befand sich zwischen und ein wenig unterhalb dessen, was Marchetti als Luftschwimmer bezeichnete. Mit Helium gefüllt, ähnelten die Schwimmer herkömmlichen Pontons, allerdings waren sie bedeutend größer und länger. Sie hatten einen flachen Boden und waren auf der Oberseite gewölbt, um dem Gefährt bei seiner Vorwärtsbewegung Auftrieb zu verleihen. Befestigt waren sie an der Passagierzelle durch Streben, die sich in Winkeln von fünfundvierzig Grad nach oben und zur Seite spannten. Ein zweites Gerüst aus Streben befand sich zwischen ihnen, um sie zu stabilisieren und zueinander auf Distanz zu halten. Diese Konstruktion erlaubte einen ungehinderten Blick zum Himmel, was kein anderes Luftschiff bieten konnte.
Das Passagierabteil hatte die Form und den Grundriss eines feudalen Kabinenkreuzers und war von den gasgefüllten Abschnitten nach hinten gestreckt und abgeschrägt. Eine Plattform am Ende erlaubte Freiluftfahrten und Sonnenbaden und bot die Möglichkeit, das Luftschiff zu besteigen und zu verlassen. Mit Zylinderröhren umhüllte Propeller, die sich ein Stück vor der Kabine befanden, zogen das Vehikel wie ein Paar Schlittenhunde durch die Luft. Stummelförmige Tragflächen an den Seiten dienten als Entenflügel, während vertikale Leitflächen, auf jedem Schwimmer eine, die Funktion von Seitenrudern hatten.
»Das ist absolut phantastisch«, sagte Gamay, beugte sich über die Seitenwand und betrachtete ein Trio von Tümmlern, dem sie seit einiger Zeit folgten.
Da Marchetti das Luftschiff lenkte, konnten Gamay und Leilani den Flug unbeschwert genießen. Sie kosteten jede Sekunde bis zur Neige aus, aalten sich in der kühlen Brise und weideten sich am Anblick der Tümmler, die unter ihnen durch das glasklare Wasser zu fliegen schienen.
Dank der kräftigen Schläge ihrer abgeflachten Schwanzflossen hielten die Meeressäuger mit Leichtigkeit das Tempo des Luftschiffs. Gelegentlich brach einer durch die Wasseroberfläche, segelte ein Stück durch die Luft, als wollte er ihnen im Luftschiff Gesellschaft leisten, und tauchte wieder in die blauen Fluten ein.
»Es sieht aus, als wollten sie uns einen Besuch abstatten«, sagte Leilani Tanner.
»Vielleicht glauben sie, dass wir das Mutterschiff sind«, erwiderte Paul Trout.
Gamay lachte. Sie hatte keine Idee, was die Tümmler von so einem Luftfahrzeug dachten. Auf jeden Fall hatten sie keine Angst davor. »Marchetti, ich glaube, es wird funktionieren.«
Leilani, deren Laune sich anscheinend gebessert hatte, nickte. Paul lächelte.
»Du siehst aus wie die Katze, die gerade den Kanarienvogel gefressen hat«, sagte Gamay.
»Mir ging eben der Gedanke durch den Kopf, wie gut ich es hier oben in Gesellschaft zweier schöner Frauen eigentlich habe«, sagte Paul grinsend, »anstatt mit Kurt und Joe durch die Wüste zu marschieren.«
Gamay lachte.
»Und es ist nicht nur die Gesellschaft«, fügte er hinzu. »Endlich dürfen wir einmal mit den Spielzeugen arbeiten, die Millionen kosten. Stattdessen schlagen sich Kurt und Joe wahrscheinlich gerade mit ein paar stinkenden Kamelen herum.«
»Da muss ich dir zustimmen«, sagte Gamay und wandte sich dann an Marchetti. »Wie lange können wir unseren Ausflug fortsetzen?«
»Wir könnten tagelang in der Luft bleiben, wenn es nötig ist«, antwortete er. »Aber ich würde vorschlagen, dass wir diese Richtung noch etwa eine Stunde beibehalten und dann zur Insel zurückkehren. Meine Leute werden bis morgen zwei weitere Luftschiffe zusammenbauen und startklar machen. Dann können alle drei aufsteigen und mehr Land – äh, Wasser – absuchen.«
»Haben Sie auch Piloten dafür?«, fragte Paul.
»Piloten?«, erwiderte Marchetti. »Wir brauchen keine Piloten.«
»Wer wird die Schiffe dann lenken?«
»Das kann jeder von Ihnen«, sagte Marchetti. »Man lenkt sie wie ein Auto oder ein Boot.«
Gamay fand, dass Marchetti durchaus als eine willkommene Verstärkung ihres Teams gelten konnte. Bisher hatte er zu seinem Wort gestanden und die Expedition in jeder Hinsicht unterstützt. Er hatte die schwimmende Insel Aqua-Terra auf nordwestlichen Kurs gebracht, hatte sie auf die atemberaubende Geschwindigkeit von viereinhalb Knoten beschleunigt und der NUMA sämtliche technischen Daten der Mikroroboter übermittelt. Er hatte sogar ein weiteres Dutzend seiner Leute zurückgerufen, um die Insel auch ohne Hilfe der Roboter in Betrieb zu halten.
»Geben Sie uns lieber ein paar Flugstunden, ehe Sie uns losschicken«, bat Paul.
»Das wäre sicher nicht dumm.«
Gamay wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Ozean zu. Die Tümmler setzten das Wettrennen mit ihnen fort und blieben stets ein Stück vor dem dahingleitenden Schatten des Luftschiffs. Ein weiterer Tümmler machte offenbar Anstalten, aus dem Wasser zu springen, als sie sich plötzlich zerstreuten, sich in entgegengesetzte Richtungen entfernten und dann blitzartig verschwanden.
»Habt ihr das gesehen?«, fragte Gamay.
»Sie sind verdammt schnell«, meinte Paul.
»Offenbar hatten sie genug von uns«, sagte Leilani.
Während sie weiterhin den Ozean betrachtete, bemerkte Gamay noch etwas anderes. Das Meer wurde dunkler. Ein düsterer grauer Schimmer ersetzte nach und nach das tiefe Blau, das sie noch Sekunden vorher umgeben hatte – so weit das Auge reichte.
Sie vermutete, dass die Tümmler die Veränderung bemerkt und als Gefahr empfunden hatten und davor geflohen waren.
Ihre unbeschwerte Stimmung verflüchtigte sich ebenfalls schlagartig. »Drosseln Sie unser Tempo«, bat sie Marchetti. »Ich glaube, wir haben sie gefunden.«