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Kurt Austin starrte auf das blutige Geschehen im Testbecken. »Plötzlich wünsche ich mir, wir wären doch verschwunden, als du es vorgeschlagen hast«, sagte er zu Joe Zavala.

Vom Umkleideraum aus hatten er und Joe die Ereignisse verfolgt, und als sich das Wasser rot färbte, schien es, als wären sie länger geblieben, als sie gedurft hätten.

Sie befreiten sich von den Schutzanzügen, gingen zur hinteren Tür und verließen den Umkleideraum über die Treppe.

»Hoffentlich hast du eine Spur aus Brotkrumen hinterlassen«, sagte Joe.

»Es geht immer nur aufwärts und weg von hier«, erwiderte Kurt.

Sie erreichten die Haupthalle, die den Blick in den Raum mit dem Simulationsbecken eröffnete, aber keiner von ihnen hatte Interesse daran, sich noch einmal danach umzudrehen. Auf halbem Weg durch den Korridor setzte Schusslärm ein. Die erste Welle klang kontrolliert und systematisch, doch dann wurden die Schüsse hektischer und von lauten Rufen begleitet. Hinzu kam heftiges Gegenfeuer.

»Die Kantine«, sagte Kurt. »Diese anderen Männer, die wir gesehen haben, arbeiten offenbar für die beiden Typen, die gerade eben den Mikrorobotern als Imbiss gedient haben.«

Die Schießerei dauerte an und wurde heftiger. »Das klingt fast wie eine ausgewachsene Schlacht«, stellte Joe fest. »Vielleicht sind nicht alle von den Ereignissen überrumpelt worden.«

»Schlecht für uns«, sagte Kurt. »Falls wir uns nicht der blauen Partei anschließen wollen, müssen wir vorläufig kleine Brötchen backen und uns zurückhalten.«

Kurt fand eine Tür, öffnete sie einen Spalt breit und warf einen Blick in den Raum dahinter. Er sah Computer, Drucker und Zeichentische. Keiner der Arbeitsplätze war besetzt.

»Hier hinein«, flüsterte er.

Sie schlängelten sich durch den Türspalt. Kurt beeilte sich, die Tür hinter ihnen zu schließen. Er presste sich gegen die Wand und stellte fest, dass er einen Teil des Korridors durch einen schmalen Spalt zwischen dem Türpfosten und der Tür überblicken konnte.

»Sieh mal nach, ob es einen Hinterausgang gibt«, sagte er, »oder einen Wandschrank oder etwas Ähnliches, wo wir uns im Notfall verstecken können.«

Joe sah sich um, und Kurt behielt den Höhlengang im Auge. Ganz gleich, wie der Plan, wie mit den Besuchern verfahren werden sollte, ausgesehen hatte, er schien auf jeden Fall gescheitert zu sein. Einige von Jinns Männern, teilweise verwundet, rannten durch den Korridor. Kurz darauf erhielten sie Verstärkung, und der Kampflärm wurde lauter, als Blendgranaten gezündet wurden.

»Hier gibt es kein Versteck«, meldete Joe. »Und keine Hintertür.«

Kurt rührte sich auf seinem Beobachtungsposten nicht. »Typisch für uns, dass wir ausgerechnet in so eine Familienfehde reinplatzen müssen.«

»Eine Minute früher, und wir wären zwischen die Fronten geraten«, gab Joe zu bedenken.

»Aber zwei Minuten früher, und wir hätten die Kampfzone längst hinter uns und wären unterwegs zum Dach, während sie uns mit ihrer Schießerei willkommene Deckung geben.«

Kurt stemmte einen Fuß gegen die Unterkante der Tür, erweiterte den Spalt ein wenig, so dass er einen größeren Korridorabschnitt überschauen konnte. Der Klang von Schritten drang an seine Ohren, ehe er erkennen konnte, wer oder was sich ihrem Standort näherte.

»Wir bekommen Gesellschaft«, flüsterte er.

Joe verstummte.

Eine Gruppe passierte ihr Versteck: zwei Männer, die eine junge Frau vor sich hertrieben. In ihrem Gesicht lag Angst, aber mehr noch etwas anderes. Kurt tippte auf Schicksalsergebenheit oder Resignation.

Sie war nur kurz zu sehen, aber Kurt verspürte ein seltsames Gefühl, als er einen kurzen Eindruck von ihrer äußeren Erscheinung erhielt. Sie war klein, hatte dunkles Haar und eine Igelfrisur, einen braunen Teint und traurige Augen. Sie sah wie eine Gefangene aus, und, was noch seltsamer war, außerdem sah sie aus wie …

Kurt lehnte sich gegen die Wand. »Wir haben ein Problem«, sagte er.

»Du meinst abgesehen davon, in einem Felslabyrinth mitten in der Wüste, umgeben von schießwütigen Ganoven, festzuhängen?«

»Ja«, sagte Kurt, »abgesehen davon. Du bist Kimo doch schon mal begegnet, nicht wahr?«

»Zwei oder drei Mal«, antwortete Joe. »Weshalb?«

»Beschreib ihn mal.«

»Ein großartiger Typ«, sagte Joe. »Figur wie ein Running Back. Untersetzt, breitschultrig. Er war zwar nur knapp eins siebzig groß, aber stark wie ein Ochse und wahrscheinlich an die einhundertachtzig Pfund schwer.«

»Und jetzt beschreib seine Schwester.«

»Traurig und ein wenig labil, aber aus gutem Grund.«

»Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für psychologische Gutachten«, drängte Kurt. »Wie sieht sie aus?«

»Eine Schönheit«, sagte Joe. »Hohe Wangenknochen, feine Gesichtszüge, lange braune Beine.«

»Richtig«, sagte Kurt. »Hochgewachsen und schlank, mit langen Gliedmaßen und feinem, seidigem Haar.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Ich habe draußen im Korridor eben gerade eine Frau gesehen, die Kimo um einiges ähnlicher war als die Frau, die wir auf Aqua-Terra zurückgelassen haben.«

»Das soll wohl ein schlechter Witz sein! War sie eine Gefangene?«

»So sah es aus.«

»Du denkst doch nicht etwa …«

»Doch, das denke ich.«

Joe begriff den Ernst der Lage sofort. »Wenn Leilani hier ist, wer befindet sich dann auf Marchettis Insel?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Kurt. »Aber wenn man betrachtet, wie schnell sie die Waffe gezogen, Marchetti bedroht und es dann irgendwie auch noch geschafft hat, sich mit ihm zu versöhnen, würde ich annehmen, dass sie ein Profi ist.«

»Du hast sie als Vollstreckerkommando bezeichnet«, erinnerte ihn Joe.

»Das war ein Scherz, aber sie hat mit keiner Wimper gezuckt.«

»Nein, das hat sie nicht«, bestätigte Joe Zavala. Er atmete tief durch. »Paul, Gamay und Marchetti schweben in akuter Gefahr.«

Kurt Austin nickte. »Wir müssen sie warnen. Wer immer sie ist, sie muss für Jinn arbeiten.«

Ehe Joe etwas hinzufügen konnte, flog die Tür auf, eingetreten von einem schweren Stiefel. Männer mit Uzis im Anschlag drängten herein und stürzten sich auf sie, ehe sie reagieren konnten. Sie wurden zu Boden geschlagen und kampflos entwaffnet.

Zwei Männer filzten sie, während andere sie festhielten.

»Jabberwocky«, knurrte Joe.

»Vielen Dank«, ächzte Kurt sarkastisch, vom Gewicht dreier Männer auf den Boden gepresst. »Auf die Idee wäre ich nie gekommen.«

Als man sie um all ihre Gerätschaften und Waffen erleichtert hatte, wurden sie hochgezogen und auf die Füße gestellt, während eine weitere Gestalt den Raum betrat: Jinn al-Khalif, mit einem Gewehr in der Hand.

Er baute sich vor Kurt auf. »Wir hatten schon auf Sie gewartet«, sagte er.

»Zweifellos hat Ihre Spionin unser Kommen längst angekündigt.«

Jinn grinste wie ein Schakal. »Ja, das hat sie tatsächlich getan.«

Mit diesen Worten rammte er Kurt den Kolben seines Gewehrs in den Magen, so dass ihm die Luft wegblieb und er zu Boden sackte.

»Sie heißt Zarrina. Und schickt Ihnen herzliche Grüße.«