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An Bord der schwimmenden Insel Aqua-Terra hatten Paul und Gamay Trout sowie Elwood Marchetti den größten Teil des Tages mit dem Studium der »wilden« Mikroroboter, die sie aus dem Meer gefischt hatten, verbracht.
Zu diesem Zweck war ein provisorisches Labor eingerichtet worden, um das ursprüngliche, mittlerweile geflutete Labor im vorderen Teil der Insel zu ersetzen. Marchettis Computer, ein kleiner Funksender und andere Ausrüstungsgegenstände und Apparaturen lagen im gesamten Raum verstreut.
Ohne Elektronenmikroskop konnten sie die einzelnen Mikroroboter nicht erkennen, aber mit Hilfe zweier medizinischer Mikroskope untersuchten Paul und Gamay zwei Proben, die sich traubenförmig beinahe wie Algen oder Bakterien miteinander verbunden hatten.
Marchetti kauerte hinter seiner Computerkonsole und bearbeitete mit Feuereifer die Tastatur. Leilani saß in der Nähe und rutschte auf ihrem Platz nervös hin und her. Nachdem sie im Laufe des Vormittags die Spezifikationen der ursprünglichen Konstruktion aufgerufen hatten, waren sie nunmehr dazu übergegangen, die Roboter zu testen und mit den standardmäßigen Befehlen, auf die Marchetti seine Prototypen Jahre zuvor programmiert hatte, zu beeinflussen.
»Sie reagieren überhaupt nicht«, stellte Paul mindestens zum zehnten Mal fest.
»Sind Sie ganz sicher?«, fragte Marchetti, während er weiterhin Kommandoprotokolle übermittelte. »Ich meine, sie sind doch furchtbar klein. Vielleicht entgeht Ihnen etwas.«
»Wir betrachten sie durch Mikroskope«, erklärte Paul, »und sie sitzen einfach dort. Wie eine satte Familie nach einem Erntedankfest-Bankett.«
Gamay sah ihn irritiert von der Seite an. »Du sprichst doch nicht etwa von meiner Familie, oder?«
»Im Wesentlichen nur von Cousin Willie.«
Für einen kurzen Moment schien sie beleidigt zu sein, dann zuckte sie die Achseln. »Du hast recht, er fläzt sich am Donnerstagnachmittag auf seine Couch und kriegt den Hintern bis zum Sonntag nicht mehr hoch.«
Marchetti räusperte sich laut, um sie auf sich aufmerksam zu machen. »Unter der Voraussetzung, dass die Mikroroboter nicht vom Geist Ihres Cousins Willie übernommen wurden, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass Otero die Befehlscodes geändert hat.«
»Und wie soll uns das weiterhelfen?«, fragte Leilani.
Ehe Marchetti antworten konnte, stellte Gamay eine praktischere Frage. »Gibt es irgendeine Möglichkeit, die Codes den Robotern direkt zu entnehmen? Sie zu rekonstruieren und auf diese Art und Weise ihre Programmierung zu entschlüsseln und zu lesen?«
Marchetti schüttelte den Kopf. »Nicht mit den vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten, die mir hier zur Verfügung stehen.«
»Wie wäre es denn, wenn wir sie von Otero selbst erfahren?«, hakte Leilani nach. »Oder von seinem Freund? Wir haben sie da unten in diesen Zellen eingesperrt. Schnappen wir uns doch die Schlüssel und gehen runter und unterhalten uns mit ihnen. Und mit unterhalten meine ich, dass wir sie zwingen zu reden.«
Gamay warf Paul einen vielsagenden Blick zu. Leilani bereitete ihnen zunehmend Sorgen. Je mehr Zeit verstrich, desto zorniger und frustrierter wurde sie, vor allem seit dem Zwischenfall auf der Aussichtsplattform des Luftschiffes.
»Ich bin strikt gegen jede Ausübung von Druck«, sagte Marchetti.
»Er wollte Sie töten«, erinnerte ihn Leilani.
»Das ist ein Argument«, stellte Marchetti fest. »Los, prügeln wir es aus ihm heraus. Mal sehen, ob ich irgendwo einen Gummischlauch oder etwas Ähnliches finden kann.«
»Das war aber ein schneller Sinneswandel«, wunderte sich Gamay.
»Flexibilität ist nun mal meine zweite Natur«, erwiderte Marchetti. »Was kann ich sonst sagen?«
»Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit.«
»Welche zum Beispiel?«
»Wenn die Roboter im offenen Meer Anweisungen erhalten, sollten wir dann nicht in der Lage sein, diese Signale abzufangen?«
»Theoretisch ist das sicherlich so«, sagte Marchetti. »Aber wir müssten dazu näher an sie herankommen.«
»Noch näher?«, fragte Leilani Tanner.
Für Paul klang das auch nicht gerade einladend. »Wie nahe müssten wir denn herangehen?«
»Das hängt von der Art der Übermittlung ab«, antwortete Marchetti. »Es kann ein niederfrequentes Signal sein oder ein Kurzwellenimpuls. Die überbrücken große Entfernungen und können von nahezu jedem Punkt der Erde aus gesendet werden. Es könnte eine hochfrequente oder Blickachsentransmission von einem Luftschiff, einem Seeschiff oder einem Satelliten sein. Es ist sogar möglich, dass das Signal zu einem Teil des treibenden Schwarms gesendet wird und dann im direkten Kontakt untereinander verteilt wird wie bei diesem alten Kinderspiel Flüsterpost. In dem Fall müssten wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um es überhaupt aufzufangen.«
»Das klingt, als sei es am einfachsten, Otero die Informationen direkt aus der Nase zu ziehen«, sagte Leilani.
»Die einfachste Lösung ist gewöhnlich die beste«, sagte Paul. »Welche Art von Übermittlung würden Sie benutzen?«
Marchetti überlegte kurz. »Eine codierte Übertragung mit kurzer Reichweite«, sagte er schließlich. »Und eine hohe Frequenz.«
»Dann halten wir danach Ausschau.«
»Höchstwahrscheinlich wird es ein sehr kurzer Sendeimpuls sein«, warnte Marchetti. »Etwa in der Größenordnung von Millisekunden. Vielleicht wird er in Intervallen wiederholt, aber nur ganz kurz. Ohne zu wissen, was wir suchen, könnte es so gut wie unmöglich sein, es bei dem allgegenwärtigen atmosphärischen Rauschen eindeutig zu identifizieren. Atmosphärische Störungen, andere Radiotransmissionen, Ionisierung der Luft, all diese Erscheinungen könnten zu einem Problem werden.«
»Sie sind ein Spielverderber«, sagte Paul und hatte das Gefühl, als wäre bei jeder Lösung das Hindernis gleich mit eingebaut.
»Wir brauchen das Signal gar nicht zu suchen«, sagte Gamay, »sondern wir haben etwas, das uns diese Arbeit abnimmt.« Mit einer ausholenden Bewegung deutete sie auf die Proben. »Wir brauchen lediglich das allgemeine Geschnatter aufzunehmen und dann darauf zu achten, ob die kleinen Roboter aufwachen. Dann erst müssten wir die Transmission analysieren.«
Marchetti war sichtlich beeindruckt. »Das könnte funktionieren«, sagte er. »Sogar ganz hervorragend. Ich lenke die Insel zum Rand des Schwarms. Laut dessen letzter errechneter Position müssten wir ihn in sechsunddreißig Stunden eingeholt haben.«