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Gamay betrat das provisorische Labor, um sich nach dem Stand von Marchettis Untersuchungen zu erkundigen. Sie traf ihn bei einem Experiment an, an dessen Durchführung eine Wärmelampe, mehrere Temperatursonden und ein hohes, schlankes Becherglas beteiligt waren, das mit Wasser gefüllt war, dessen obere Schicht eine deutliche Trübung aufwies.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass sich in diesem Glas Mikroroboter befinden?«
Marchetti richtete sich auf. »Oh, Mrs. Trout«, sagte er und legte eine Hand auf seine Brust. »Sie haben sich regelrecht angeschlichen.«
»Eigentlich nicht. Ich habe mir keine Mühe gegeben, leise zu sein, aber Sie waren so sehr in Ihre Arbeit vertieft.«
»Ja, das stimmt wohl«, sagte er und hantierte mit einer der Sonden herum, während er ein Display betrachtete.
»Wollen Sie mir nicht verraten, um was es geht?«
»Ich versuche nur, etwas herauszufinden«, sagte er und klang dabei, als wolle er lieber nicht darüber reden.
Sie nahm ihm gegenüber Platz und schaute ihm direkt in die Augen. »Wie kommt es, dass Männer niemals über ihre Vermutungen sprechen wollen?«, fragte sie. »Fürchten Sie sich so sehr davor, sich geirrt zu haben?«
»Ich habe mich sicherlich schon eine Million Mal geirrt«, sagte Marchetti. »Eher befürchte ich, recht zu haben.«
»Wobei?«
»Ich habe eine Idee, was da draußen los sein könnte.«
»Und trotzdem machen Sie ein Geheimnis daraus«, sagte sie. »Wie die meisten Männer, die ich kenne, wollen Sie eine klare Bestätigung, ehe Sie den Mund aufmachen, oder zumindest einen Haufen überzeugender Beweise.«
Sie deutete auf die Gerätschaften. »Das sieht ganz so aus wie ein Versuch, mir etwas Derartiges zu liefern.«
»Sie verfügen wirklich über eine geradezu phantastische Gabe der Intuition, Mrs. Trout. Ich wette, Paul kann nichts vor Ihnen verbergen.«
»Er hat gelernt, es gar nicht erst zu versuchen.«
»Ein kluger Mann«, sagte Marchetti und lächelte verlegen. »Sie haben natürlich recht. Ich habe eine Ahnung, dass die Mikroroboter tatsächlich für die Temperaturschwankungen verantwortlich sind. Ich kann mich an einen Plan zur Vereitelung der globalen Erwärmung erinnern. Über Jahre sollten regelmäßig Raketen gestartet werden, um Millionen und Abermillionen lichtreflektierender Scheiben ins All zu schießen und rund um den Planeten oder auch nur über den Polen zu verteilen, genau weiß ich es nicht mehr. Diese Scheiben würden einen Teil des Sonnenlichts blockieren und zurück ins Weltall reflektieren. Es wäre zwar nur ein kleiner Prozentsatz, aber gerade genug, um den Effekt zu stoppen, den wir zurzeit beobachten.«
Gamay konnte sich ebenfalls erinnern, etwas Derartiges gehört zu haben.
»Offensichtlich gab es große Probleme bei der Umsetzung dieser Idee«, fuhr Marchetti fort, »aber das Konzept hat mich interessiert. Ich habe mich oft gefragt, ob es wirklich funktionieren wird.«
»In dieser Richtung gibt es einige Präzedenzfälle«, sagte Gamay. »Nach schweren Vulkanausbrüchen verteilt sich die Asche in der Luft in einem Abstand von der Erde und entfaltet in etwa die gleiche Wirkung wie die reflektierenden Scheiben, von denen Sie sprechen. Hungersnöte im sechsten Jahrhundert wurden auf solche Aschewolken zurückgeführt, die die Sonneneinstrahlung gemindert und zu Missernten geführt haben. Das Jahr achtzehnhundertfünfzehn wurde seinerzeit auch das ›Jahr ohne Sommer‹ genannt, weil die Durchschnittstemperaturen ungewöhnlich niedrig waren. Ursache soll der Ausbruch des Tambora in Indonesien gewesen sein.«
»Ich habe das Gefühl, als käme hier das gleiche Prinzip zum Zuge«, sagte Marchetti. »Nur diesmal nicht in der Atmosphäre, sondern im Meer.«
Er deutete auf das Experiment. »Ich habe versucht, in dieser Wasserprobe einen solaren Erwärmungs- und Abkühlungszyklus zu erzeugen. Aber ich bekomme Probleme mit meiner Theorie. Selbst mit der trüben Roboterschicht im obersten Bereich verhält sich die Probe wie ordinäres Salzwasser.«
»Heißt?«
»Die Mikroroboter absorbieren einiges von der Wärme, aber auch nicht annähernd genug, um eine Abkühlung des Wassers in den Dimensionen zu erreichen, die gemessen wurden.«
»Und wie groß ist der Unterschied?«
»Sehr deutlich«, sagte er. »Die Abweichung beträgt bis zu neunzig Prozent. Und das ist in jedem Fall eine Menge.«
»Sie meinen, dass Sie bei Ihrem Experiment …«
»Nur zehn Prozent der Abkühlung gemessen haben, die wir auf dem offenen Meer angetroffen haben. Ja, genau das ist es, was ich meine.«
Sie sah sich um. Sie brauchte nicht zu fragen, ob er das Experiment korrekt durchgeführt hatte oder es ein zweites Mal versuchen wollte. Er hatte seit Stunden hier gesessen, und ehe er mit dem Programmieren von Computern begonnen hatte, war er lange als Ingenieur tätig gewesen. Er würde also sehr gut wissen, was er tat. Außerdem sah sie sechs weitere Versuchsanordnungen, die mit der identisch waren, die vor ihr stand. Sie vermutete, dass er damit Kontrollmessungen durchgeführt hatte.
»Was bedeutet das?«, fragte sie. »Versuchen Sie diesmal, sich als Frau zu fühlen, und reden Sie offen.«
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte er. »Entweder ist etwas anderes für die Abkühlung verantwortlich, oder die Mikroroboter kühlen den Ozean mittels eines anderen Prozesses oder eines Mechanismus ab, den wir eingehender beobachten beziehungsweise erst noch entdecken müssen.«
»Ein Grund mehr, uns in ihre Nähe zu begeben«, sagte Gamay.
»Das befürchte ich«, erwiderte er.
Ehe Gamay sich dazu äußern konnte, ertönte ein lauter Alarm im Labor. Er war schrill und durchdringend und wurde von dem hektischen Blinken einiger Warnlampen begleitet.
»Was ist los?«
»Feueralarm«, sagte Marchetti. Er aktivierte die Gegensprechanlage. »Was ist passiert, Chief?«
»Wir haben mehrere Wärmesignale empfangen«, erwiderte der Cheftechniker und klang, als müsse er sich noch einmal vergewissern. »Ich erhalte soeben die Bestätigung«, fügte er dann hinzu. »Im Maschinenraum brennt es offenbar.«