28

Als Gamay den Kontrollraum betrat, herrschte dort ein mittleres Chaos. Zwei von Marchettis Männern saßen vor den Computern und bemühten sich voller Hektik, die Verbindung zu den Robotern und dem Feuerlöschsystem wiederherzustellen.

Der Cheftechniker, ein untersetzter, stämmiger Grieche, beobachtete das Feuer. Im Hintergrund konnte Gamay den Sprechfunkverkehr zwischen zwei Löschmannschaften verfolgen. Es klang nicht unbedingt so, als wären sie erfolgreich.

»Wie schlimm ist es?«, fragte sie und dachte, dass es unten auch nicht gerade überwältigend ausgesehen hatte.

»Es hat sich schnell ausgebreitet«, meldete der Chief. »Der gesamte Maschinenraum steht in Flammen. Ich tippe auf ein Treibstoffleck. Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte.«

»Und breitet es sich noch weiter aus?«, fragte Gamay und konnte den ängstlichen Gedanken, dass Paul da unten am Ende doch in der Falle saß, nicht verdrängen.

»Noch nicht«, sagte der Cheftechniker.

Während sich Gamay bemühte, dem Wort noch keine allzu große Bedeutung beizumessen, kam Leilani herein. In ihren Augen flackerte Angst, und sie war zutiefst verwirrt.

»Was ist passiert?«

»Feuer im Maschinenraum«, sagte Gamay. »Ein Angehöriger der Mannschaft ist dort eingeschlossen. Und sämtliche automatischen Schutzvorrichtungen sind ausgefallen.«

Leilani ließ sich auf die nächste Sitzgelegenheit sinken. Sie zitterte am ganzen Leib, und es schien, als bekäme sie jeden Moment einen hysterischen Anfall. Aber darüber konnte sich Gamay jetzt nicht den Kopf zerbrechen.

»Was ist, wenn sich das Feuer weiter ausbreitet?«, fragte sie. »Mein Mann und Marchetti und die anderen Männer sind dann abgeschnitten.«

»Nicht wenn sie die Flammen eindämmen«, sagte der Chief. »Sie müssen das Feuer zurückdrängen.«

»Sie brauchen da unten mehr Männer.« Diese Worte kamen aus Leilanis Mund.

Gamay und der Cheftechniker sahen zu ihr hinüber.

»Wenn die Roboter nicht funktionieren, müssen Sie mehr Männer hinunterschicken«, wiederholte Leilani.

»Sie hat recht«, meinte Gamay, überrascht von ihrem plötzlichen sachlichen Auftreten.

»Wir versuchen, die Roboter wieder in Gang zu setzen«, verteidigte der Chief seine Taktik.

»Vergessen Sie die verdammten Roboter«, sagte Gamay. »Vier Männer können gegen das Feuer nichts ausrichten.«

»Wir haben aber nur zwanzig Leute an Bord«, sagte der Chief.

Das hatte Gamay von Anfang an als Fehler empfunden, und plötzlich erkannte sie auch weshalb. »Jeder, der sich in Sachen Brandbekämpfung auskennt, sollte jetzt da unten sein«, drängte sie, »oder Paul und die anderen müssen sich zurückziehen.«

Der Cheftechniker blickte zu den beiden Männern, die an den Computern saßen. »Gibt es irgendwas?«

Sie schüttelten die Köpfe. »Es ist ein Code, der sich selbst schützt. Sobald wir eine Lücke finden, startet er neu und schließt die Lücke, so dass wir wieder von vorn anfangen müssen.«

Gamay wusste nicht genau, was sie sich darunter vorstellen sollte, aber es klang, als hätte es nicht allzu viel Sinn, die Bemühungen in dieser Richtung fortzusetzen.

Der Chief atmete zischend aus. »Demnach fallen die Roboter vorerst aus«, stellte er fest und bestätigte das ohnehin Offensichtliche. Er gab den Männern an den Computern ein Zeichen. »Macht euch schon mal auf den Weg. Ich schicke auch die anderen zum Maschinenraum hinunter.«

Die beiden Männer an den Computern standen auf und gingen zur Tür.

»Danke«, sagte Gamay. Es beruhigte sie ein wenig zu wissen, dass Verstärkung zu Paul unterwegs war.

Marchettis Stimme drang aus dem Lautsprecher des Intercoms. »Hatten Sie Erfolg, Chief?«

»Negativ«, sagte der Cheftechniker in ein Mikrofon. »Wir kommen nicht rein und schicken Ihnen Unterstützung.«

»Verstanden«, sagte Marchetti. »Dann versuchen wir es manuell.«

»Was heißt das?«, wollte Gamay wissen.

»Sie füllen den Raum mit Halon«, sagte der Chief. »Es unterdrückt das Feuer und löscht es.«

»Was ist der Nachteil?«

»Halon ist giftig. Außerdem entwickelt es seine volle Wirkung nur in geschlossenen Räumen. Sobald es aktiviert wird, schließen sich die Türen automatisch und werden verriegelt. Sie sind dann dort gefangen, bis die Sensoren melden, dass das Feuer erloschen und die Raumtemperatur bis unter den Wiederentzündungspunkt gesunken ist.«

Gamay schluckte. Sie wusste, was das bedeutete.

»Das sollte kein großes Problem sein«, sagte der Techniker. »Sobald der Raum gefüllt ist, müsste das Feuer innerhalb von dreißig Sekunden verlöschen. Die Temperatur beträgt dort zurzeit einhundertzwanzig Grad. Nach meinen Berechnungen sollte die Abkühlphase höchstens zehn Minuten dauern, wenn alles nach Plan verläuft.«

Zehn Minuten, die Paul hinter einer hermetisch verschlossenen Tür in einem Hitzeofen zubringen müsste. Sie konnte diese Vorstellung kaum ertragen. Aber ein anderer Gedanke war noch schlimmer.

»Wenn alles nach Plan verläuft«, wiederholte sie. »So wie sich die Dinge bisher entwickelt haben, ist das eine ziemlich gewagte Annahme. Was ist, wenn sich die Türen nicht schließen? Oder schlimmer, wenn sie nicht wieder aufgehen?«

Der Cheftechniker sagte nichts, aber sie entnahm seiner Körpersprache, dass er selbst auch schon darüber nachgedacht hatte.

Unten im Maschinenraum hatten Paul und Marchetti begonnen, sich zur hinteren Wand des Maschinenraums durchzukämpfen. Es schien, als bräuchten sie eine Ewigkeit, um den höhlenartigen Raum zu durchqueren. In einem Teil dieses Raums versperrten ihnen Trümmer und brennender Treibstoff den Weg. In einem anderen schoss überhitzter Dampf aus einer geborstenen Wasserleitung.

Mit Marchettis Leuten im Rücken, die darauf achteten, dass sie nicht von der Umwelt abgeschnitten wurden, rückten sie Meter um Meter vorwärts und drängten das Feuer dabei stückweise zurück. Schließlich konnten sie einen Weg erkennen, der sie auf die andere Seite des Raums brachte.

»Bleiben Sie in Position«, sagte Marchetti. »Halten Sie das Feuer in Schach, während ich losrenne. Ich gebe Ihnen ein Zeichen, wenn ich drüben bin.«

Paul machte einen Schritt vorwärts und ergriff die Spritzdüse des Wasserschlauchs.

Marchetti ließ los, und Paul musste sämtliche Kräfte mobilisieren, um den Wasserstrahl im Ziel zu halten. Während Marchetti losging, hielt Paul die Flammen auf der linken Seite so niedrig wie möglich und dann auf der rechten Seite. Dabei achtete er darauf, dass auch Marchetti genug Wasser abbekam.

Er beobachtete, wie Marchetti den ersten Flammenwall hinter sich brachte und sich weiterkämpfte, dann jedoch plötzlich hinter einer Wand aus Feuer und Qualm verschwand, die an der Seite aufloderte. Paul lenkte den Wasserstrahl in den Feuersturm, konnte jedoch nichts erkennen.

»Marchetti?«

Er erhielt keine Antwort.

»Marchetti?«

Der Qualm war so dicht, dass Paul so gut wie nichts sehen konnte. In seinem Schutzanzug schwitzte er heftig, und seine Augen brannten von den Dämpfen und vom Salz seiner eigenen Transpiration. Er lenkte den Wasserstrahl immer wieder über den Laufgang, bis er ein mattes Licht in der Dunkelheit schimmern sah. Es befand sich dicht über dem Fußboden. Marchettis Positionslampe.

»Marchetti hat es erwischt!«, rief Paul. »Ich hole ihn!«

Er schloss die Spritzdüse, ließ den Schlauch fallen und rannte los. Die Männer von Marchettis Inselbesatzung nahmen seinen Platz ein und überschütteten ihn, während er ins Flammenmeer eindrang.

Er passierte die Feuerwand und gelangte zu Marchetti, dessen Kapuze rußgeschwärzt war, während seine Maske halb vom Gesicht gerutscht sein musste. Es sah aus, als sei er gegen einen aus der Wand ragenden Stahlträger geprallt. Paul schob ihm die Maske vors Gesicht, worauf Marchetti hustete und wieder zu sich kam.

»Helfen Sie mir hoch«, bat er.

Eine Explosion erschütterte den Maschinenraum, und Trümmer regneten von der Decke auf sie herab. Paul hievte Marchetti auf die Füße, doch er stolperte sofort und sank wieder auf die Knie. Dann streckte er eine Hand aus.

»Kein Gleichgewicht«, sagte er.

Paul zog ihn abermals hoch und hielt ihn aufrecht. Sie trotteten weiter wie zwei Männer beim Dreibein-Sackhüpfen. Und dann erreichten sie die Wand. Dort wartete der Überbrückungsschalter.

»Wir haben es geschafft«, rief Paul ins Mikrofon. »Verschwindet! Wir lassen das Halon gleich einströmen!«

Paul streckte die Hand nach dem Modul aus, schnippte den Sicherungshebel zur Seite und legte einen Finger auf den Schalter. Er wartete eine gefühlte Ewigkeit. Eine weitere Explosion ließ den gesamten Raum erbeben.

»Wir sind durchs Türschott«, meldete schließlich einer der Mannschaftsangehörigen.

»Jetzt«, sagte Marchetti.

Paul drückte den Hebel nach unten.

Aus achtzig über den Raum verteilten Düsen strömte Halon 1301 unter hohem Druck in den Maschinensaal und verteilte sich in jeden noch so kleinen Winkel. Schnell füllte es den Raum und erstickte das Feuer. An einigen Stellen loderten noch einmal kleine Flammen hoch, als kämpften sie verzweifelt um ihr Überleben. Doch dann, wie durch ein Wunder, erloschen sämtliche Flammen gleichzeitig.

Lähmende Stille setzte ein.

Das kam Paul unheimlich vor. Die tobenden Flammen, die Explosionen, die heftigen Windstöße, die dadurch entstanden, dass das Feuer Luft ansog und Hitze abstrahlte, alles war verschwunden. Nur der dichte Qualm trieb durch den Raum, begleitet vom Zischen der Halondüsen, dem Geräusch tropfenden Wassers und dem Knarren und Knacken überhitzten Metalls.

Das Erlöschen der Flammen erschien fast zu schön, um wahr zu sein, und weder Paul noch Marchetti rührten sich, als befürchteten sie, den Zauber durch eine unbedachte Bewegung zu brechen. Schließlich wandte sich Marchetti zu Paul um. Ein Lächeln schlich sich in seine Gesichtszüge, das Paul durch die mit Ruß verschmierte Atemmaske allerdings kaum erkennen konnte.

»Gut gemacht, Mr. Trout. Sehr gut sogar.«

Paul lächelte ebenfalls, stolz und zugleich erleichtert.

Und dann setzte ein schrilles elektronisches Piepen ein, begleitet von Lichtblitzen auf der Rückseite von Marchettis SCBA. Sekunden später begann auch Pauls Kontrollleuchte zu flackern. Gleichzeitig erklang ein identisches Piepen. Die beiden Alarmsignale vermischten sich zu einer nervtötenden Kakophonie.

»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte Paul.

»Notsignale«, sagte Marchetti.

»Warum gehen sie ausgerechnet jetzt los?«

Marchettis Miene verdüsterte sich. »Weil«, sagte er, »unsere Atemluft knapp wird.«