49

Seit Joe Zavala das Wachhaus im Innenhof des Horus-Tempels gefunden hatte, war seine Glückssträhne abgerissen.

Zuerst erwies es sich als ein Unterfangen von geradezu monumentalen Ausmaßen, jemanden vom Militär dazu zu bewegen, sich in den strömenden Regen hinauszuwagen und zum Tempel zu kommen, um mit ihm zu reden. Als schließlich doch eine Abordnung erschien, hatte man auf einen Dolmetscher verzichtet, so dass der Nachtwächter des Tempels diese Aufgabe übernehmen musste. Trotz seiner tapferen Bemühungen war Joe sicher, dass die wichtigen Details im Zuge der Übersetzung verloren gingen.

Mit jedem Versuch, Einzelheiten klarzustellen und verständlich zu machen, wandelte sich die Reaktion der militärischen Vertreter von verblüfft über ungläubig zu verärgert.

Als Joe sie mit Nachdruck darauf aufmerksam machte, dass ihr Zögern die drohende Gefahr noch steigere, wurden sie laut, beschimpften ihn und verhielten sich, als drohe er ihnen, anstatt sie zu warnen.

Vielleicht war dies die klassische Situation, in der Überbringer von schlechten Nachrichten erschossen wurden, dachte Joe.

Und nach dieser traurigen Erkenntnis wurde er mit vorgehaltener Waffe aus dem Wachhaus komplimentiert, genötigt, in einen Van einzusteigen, und zu einem militärischen Stützpunkt gebracht, wo er schließlich in einem ägyptischen Militärgefängnis landete.

Die schmutzige Arrestzelle hätte jedem Mysophobiker Alpträume bereitet. Und Joe fand nur wenig Trost in dem Wissen, dass früher oder später zehn Billionen Gallonen Wasser, die bislang noch vom Staudamm zurückgehalten wurden, entfesselt und die Zelle säubern würden.

Das Glück lachte ihm erst wieder, als die neue Schicht um vier Uhr morgens ihren Dienst antrat. Denn zu dieser Truppe gehörte ein Offizier, der die englische Sprache einigermaßen beherrschte.

Major Hassan Edo trug einen gelbbraunen Tarnanzug mit nur wenigen militärischen Verzierungen außer seinem Namen. Er war Mitte fünfzig, hatte kurz geschnittenes Haar, eine Adlernase und einen bleistiftdünnen Schnurrbart, der ganz gut in das Gesicht Clark Gables gepasst hätte.

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, legte die kampfbestiefelten Füße auf den ausladenden Schreibtisch vor sich und zündete sich eine Zigarette an. Die klemmte er zwischen zwei Finger und fuchtelte damit herum, während er redete, machte jedoch nicht einen einzigen Zug.

»Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe«, sagte der Major. »Sie heißen Joe Zavala. Sie behaupten, Amerikaner zu sein – was zurzeit in diesen Breiten nicht unbedingt eine Empfehlung ist –, können dafür jedoch keinen Beweis beibringen. Sie behaupten, ohne Reisepass, Visum oder irgendein anderes Dokument, das Ihre Identität bestätigen würde, nach Ägypten gekommen zu sein. Sie können weder einen Führerschein noch eine Kreditkarte vorweisen.«

»Ohne mich allzu heftig verteidigen zu wollen«, begann Joe, »aber nach Ägypten gekommen klingt ein wenig zu freiwillig. In Wirklichkeit war ich ein Gefangener in der Gewalt von Terroristen, die beabsichtigen, Ihrem Land erheblichen Schaden zuzufügen. Ich bin geflüchtet, kam hierher, um Sie zu warnen, und wurde bisher wie ein Aufrührer behandelt.«

Als der Major keinerlei Reaktion zeigte, hielt Joe inne. »Sie verstehen doch hoffentlich, was ich sage.«

Major Edo nahm die Füße vom Tisch und setzte sie wuchtig auf den Holzfußboden. Er angelte die Zigarette aus dem Aschenbecher, wo er sie kurzfristig abgelegt hatte, machte Anstalten, tatsächlich einen Zug zu wagen, lehnte sich stattdessen jedoch vor.

»Sind Sie hier, um uns vor Problemen zu warnen?«, fragte er, als hätte Joe diesen Punkt noch gar nicht erwähnt.

»Ja«, erwiderte Joe. »Terroristen aus dem Jemen wollen den Staudamm zerstören.«

»Den Staudamm?«, wiederholte Edo ungläubig. »Den Assuan-Hochdamm?«

»Ja«, bestätigte Joe Zavala.

»Haben Sie den Staudamm schon mal gesehen?«

»Nur auf Bildern«, gab Joe zu.

»Der Staudamm besteht aus Mauerwerk, Steinen und Beton«, sagte der Major mit einem Anflug lokalpatriotischer Leidenschaft. »Er wiegt Millionen von Tonnen. An der Basis ist er neunhundert Meter dick. Diese Männer – falls es sie wirklich gibt – könnten ihm mit fünfzigtausend Pfund Dynamit zu Leibe rücken und würden allenfalls ein kleines Stück heraussprengen.«

Während seiner Ansprache wedelte der Major mit der Zigarette herum. Asche rieselte zu Boden, dünne Rauchfäden schwebten durch die Luft, aber noch immer fand die Zigarette keinen Weg zu seinen Lippen. Er lehnte sich wieder mit einem Ausdruck unerschütterlicher Selbstsicherheit zurück. »Ich versichere Ihnen«, beendete er seinen Vortrag, »der Staudamm kann gar nicht durchbrochen werden.«

»Nein, niemand hat davon gesprochen, dass er an seinem Fuß gesprengt wird«, erwiderte Joe. »Sie werden am oberen Rand dicht unterhalb der Wasserlinie, dort wo der Damm am dünnsten ist, einen Kanal hindurchbohren.«

»Wie?«, fragte der Major.

»Wie?«

»Ja«, sagte der Major, »verraten Sie mir, wie. Kommen sie mit Baggern auf die Krone und fangen mit Ausschachtungsarbeiten an, von denen wir nichts bemerken?«

»Natürlich nicht«, sagte Joe.

»Dann verraten Sie mir doch mal, wie es passieren soll.«

Joe setzte zu einer Erklärung an, hielt jedoch inne, ohne dass ein Wort über seine Lippen kam.

»Ja?«, fragte der Major gespannt. »Reden Sie weiter.«

Joe presste die Lippen zusammen. So wie er es betrachtete, konnte er berichten, was er wusste, und dem Major erklären, dass der Damm von Maschinen, die so klein waren, dass niemand sie sehen konnte, zum Einsturz gebracht werden sollte, doch er würde damit nicht mehr als Gelächter und Unglauben ernten. Oder er konnte irgendetwas erfinden – und dennoch nicht mehr bewirken, als das Ganze noch verworrener zu machen und den Major nach einer anderen Art von Bedrohung als der, die tatsächlich existierte, Ausschau halten zu lassen.

»Darf ich mal telefonieren?«, fragte er schließlich.

Wenn er die amerikanische Botschaft oder die NUMA erreichte, könnte er zumindest jemand anders vor der drohenden Gefahr in Assuan und vor der Schwindlerin auf der schwimmenden Insel warnen.

»Dies ist nicht Amerika, Mr. Zavala. Sie haben kein gesetzlich verbrieftes Anrecht auf ein Telefongespräch oder auf einen Anwalt oder auf irgendetwas anderes, das ich Ihnen nicht gestatten werde.«

Joe versuchte es mit einer anderen Taktik. »Wie wäre es dann damit?«, sagte er. »Irgendwo da draußen sind fünf Lastwagen. Identische Sattelschlepper mit Abdeckplanen über den Aufliegern. Sie waren nach Norden unterwegs und transportieren gelbe Tonnen, die mit einer silberfarbenen, sandähnlichen Substanz gefüllt sind. Suchen Sie sie, halten Sie sie auf und verhören Sie die Fahrer. Ich bin sicher, dass sie ebenfalls keine Visa, Reisepässe oder Kreditkarten vorweisen können.«

»Ach ja«, sagte der Major verächtlich, griff nach einem Notizblock und überflog ihn im grellen Licht der Schreibtischlampe.

»Die fünf geheimnisvollen Lastwagen aus dem Jemen«, sagte er. »Nach ihnen suchen wir bereits, seit Sie uns zum ersten Mal Ihre Geschichte erzählt haben. Aus der Luft, mit Streifenwagen, auch zu Fuß. Es gibt keine Lastwagen da draußen. Nicht hier. Nicht in irgendeinem Lagerhaus, das groß genug wäre, um sie darin zu verstecken. Nicht in der Nähe des Staudamms oder am Seeufer. Noch nicht einmal auf der Straße nach Marsa Alam. Sie existieren einfach nicht, außer, wie ich annehme, in Ihrer Phantasie.«

Joe seufzte in hilfloser Verzweiflung. Er hatte keine Ahnung, wohin die Sattelzüge verschwunden sein konnten. Edos Männer mussten irgendetwas übersehen haben.

Der Major schob den Notizblock beiseite. »Warum erzählen Sie uns nicht, welche Absichten Sie tatsächlich verfolgen?«

»Ich versuche nur zu helfen«, sagte Joe, stand jedoch kurz davor, zu kapitulieren und den Dingen ihren Lauf zu lassen. »Können Sie nicht wenigstens eine Inspektion des Staudamms durchführen?«

»Eine Inspektion?«

»Ja«, sagte Joe. »Nach Lecks oder irgendwelchen Beschädigungen suchen. Nach allem, was ungewöhnlich ist.«

Der Major ließ sich diesen Vorschlag einige Sekunden lang durch den Kopf gehen, dann richtete er sich in seinem Sessel auf und nickte. »Eine hervorragende Idee.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Genau das werden wir tun.«

»Wir?«

»Natürlich«, sagte der Major, erhob sich und drückte endlich die Zigarette aus. »Woher soll ich wissen, wonach ich Ausschau halten soll, wenn ich Sie nicht mitnehme?«

Joe war sich nicht ganz sicher, ob er sich mit dieser Idee anfreunden konnte.

»Wachen!«, rief der Major.

Die Tür wurde geöffnet. Zwei ägyptische Militärpolizisten kamen herein.

»Fesselt ihn und bringt ihn runter zum Kai. Ich nehme unseren Gast auf einen kleinen Ausflug mit.«

Während die Männer Joe Zavala Handschellen anlegten, meinte der Major: »Sie werden sehen, dass der Damm unzerstörbar ist, und dann können wir diese Scharade beenden und uns über Ihre wahren Absichten unterhalten, wie immer die aussehen mögen.«