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Das grässliche Gefühl, Zeuge von Ereignissen sein zu müssen, die sich seiner Kontrolle entzogen, erfüllte Joe Zavala mit nackter Angst. Das Tauchboot über ihm wurde zu jener Bresche hingesogen, wo ihm ein tödlicher Absturz in die Tiefe drohte. Und da er durch ein Stahlkabel und einen Luftschlauch mit dem Boot verbunden war, würde ihm Joe schon bald folgen.

Das Seil und den Luftschlauch zu kappen würde ihm nicht weiterhelfen. Er konnte nicht aus eigener Kraft zur Oberfläche aufsteigen. Selbst wenn er den Gewichtsgürtel ablegte, lasteten noch fünfzig Pfund Ausrüstung auf seinen Schultern und seinen Füßen.

Seine Füße hatten Grundberührung. Er versuchte, sie sicher aufzusetzen, wurde jedoch gleich wieder hochgehoben und zur Seite gezogen.

»Mehr Leine!«, verlangte er. »Schnell!«

Er sah das Boot hoch über sich und gewahrte die phosphoreszierende Heckwelle hinter dem Boot, während es gegen die Strömung ankämpfte. Es schwenkte hin und her, als sich der Steuermann bemühte, seine Nase stets gegen die Strömung gerichtet zu halten. Jedes Abdrehen zur Seite wäre das Ende, da sie innerhalb weniger Sekunden hinweggefegt würden.

Schließlich spürte Joe, wie die Leine schlaff wurde. Er landete auf der Dammwand, machte sich daran, sie zu Fuß zu überqueren und fand einen großen Felsklotz.

Indem er ihn umkreiste, legte er das Stahlseil um den Brocken.

»Das Seil spannen!«, rief er.

Das Seil straffte sich, zog sich um den Felsklotz zusammen und begann beinahe in der Dunkelheit zu singen, als das Spiel verbraucht war. Das Boot über ihm verharrte mit einem harten Ruck in seiner Position.

»Wir werden gehalten«, rief der Major nach unten. »Was ist geschehen?«

»Ich habe Ihnen zu einem Anker verholfen«, antwortete Joe. »Gibt es da oben jemanden, der weiß, was Zentripetalkraft ist?«

Joe hielt fest. Das Seil war um den Felsklotz geschlungen, drohte jedoch zu reißen.

»Ja«, sagte der Major, »den Schichtführer. Er weiß es.«

»Halten Sie das Boot gegen die Felsen gerichtet und gehen Sie in einen Winkel von fünfundvierzig Grad, wenn das Seil hält. Dann sollten Sie in Sicherheit schwingen. Setzen Sie das Boot aufs Festland und vergessen Sie bloß nicht, mich reinzuholen.«

»Okay«, sagte der Major, »wir versuchen es.«

Joe hielt das Seil gespannt und stemmte seine stählernen Stiefel gegen den Felsklotz.

Über ihm änderte das Boot seinen Kurs und begann, sich zur Seite zu bewegen. Ähnlich wie die Erdanziehung den Mond lenkt, sorgte das Stahlseil dafür, dass sich das Boot auf einer gekrümmten Bahn bewegte und beschleunigte. Das Boot schnitt durch die Strömung und wurde nach vorn geworfen.

Ein singender Ton hallte durchs Wasser. Joe spürte, wie er rückwärtstaumelte.

Das Seil war gerissen.

Zuerst wurde er von der Strömung zum oberen Durchbruch gezogen, doch dann zerrten ihn die Leinen und Schläuche, die ihn mit dem Taucherboot verbanden, in die andere Richtung.

Während das Boot ins seichte Wasser rauschte und auf den Felsen aufsetzte, wurde Joe tief unten in das Gesteinsfeld geschleift. Jeder Zusammenprall fühlte sich wie eine Kollision mit einem Auto an, und Joe war für den harten Edelstahlhelm plötzlich ausgesprochen dankbar.

Als der Ritt beendet war, befand sich Joe in zehn Metern Tiefe, sein Anzug füllte sich mit Wasser, und der Luftschlauch war entweder gekappt oder geknickt, weil er keine Luft hindurchließ. Joe wusste, dass er nicht schwimmen konnte, aber immerhin konnte er klettern. Er stieg hinauf, wobei er über die Betonpfeiler und die Felsklötze kroch wie ein Waschbär in einer Müllkippe.

Er streifte den Gewichtsgürtel ab, und nun fiel es ihm leichter. Während er nach oben gelangte, wurde das Licht des Bootsbodens heller. In dem Augenblick, als ihm die Luft ausging, brach Joe durch die Wasseroberfläche, ganz ähnlich wie die Kreatur aus der Schwarzen Lagune in dem gleichnamigen Horrorfilm.

Er sank zwischen zwei mächtigen Felsklötzen zusammen, unfähig den Helm und das Brust- und Schultergeschirr ohne den Auftrieb des Wassers hochzuhalten. Er gab sich zwar Mühe, aber beides rührte sich nicht, bis ihm zwei Paar Hände behilflich waren.

»Haben wir es geschafft?«, fragte Joe.

»Sie haben es geschafft«, sagte der Major, umarmte den Amerikaner und hob ihn hoch. »Sie haben es tatsächlich geschafft.«