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Eine Woche später saßen Paul und Gamay Trout an einem großen runden Tisch im Luxusrestaurant Citronelle in Washington, D. C. Gesellschaft leisteten ihnen Rudi Gunn und Elwood Marchetti. Sie bestellten Cocktails und unterhielten sich angeregt, während sie auf das Eintreffen der anderen Gäste warteten.

»Was wird nun aus Ihrer Insel?«, wollte Paul von Marchetti wissen.

Das erfinderische Genie zuckte die Achseln. »Sie ist derart beschädigt, dass eine Reparatur unmöglich ist. Und niemand darf sie betreten, bis wir nicht ganz sicher sein können, dass sämtliche Mikroroboter entfernt wurden. Das kann Jahre dauern. Bis dahin dürfte der Indische Ozean Aqua-Terra derart heftig zugesetzt haben, dass sie längst auf den Meeresgrund gesunken ist.«

»Das ist ja schrecklich«, sagte Gamay. »All diese Jahre voller Arbeit völlig umsonst.«

Marchetti grinste verschlagen. »Genau das wird auch die Versicherung sagen, wenn ich den Schadensfall einer vollständigen, nicht mehr rückgängig zu machenden Verseuchung melde.«

Paul schaute auf zwei freie Stühle. »Wo sind denn unsere verehrten Freunde?«

»Ganz zu schweigen von denen, die für dieses Abendessen aufkommen werden«, fügte Rudi Gunn hinzu.

Kurts und Joes Wette war für unentschieden erklärt worden. Sie freuten sich, die Rechnung unter sich aufteilen zu können, und waren dankbar, überhaupt noch am Leben zu sein, um diese Party schmeißen zu können. Allerdings hatte bis zu diesem Abend niemand etwas von ihnen gehört.

»Wie ist der jüngste Stand bei dieser Schmerz-Maschine der Bewohner von Pickett’s Island?«, wollte Gamay dann wissen.

»Unsere Computerabteilung hat sie aus lange verloren geglaubten Dateien ausgegraben«, antwortete Gunn. »Sie gehörte zu einem geheimen Projekt während des Zweiten Weltkriegs, in dessen Verlauf nach Möglichkeiten gesucht wurde, um die japanischen Banzai-Missionen aufzuhalten. In jener Zeit glaubten die Japaner, es sei besonders ehrenhaft, für den Kaiser zu sterben. Wenn sie nicht auf die normale Art und Weise angreifen konnten, versuchten sie es mit selbstmörderischen Attacken, bei denen die Angreifer ›Banzai!‹ oder ›Tenno Heika Banzai!‹ zu rufen pflegten, was so viel heißt wie ›Zehntausend Jahre soll der Kaiser herrschen!‹«

»Der Pain Maker sollte die Angriffstruppen neutralisieren und den Amerikanern gestatten, wertvolle Gefangene zu machen und zu verhören, während die Japaner gleichzeitig daran gehindert wurden, sich selbst allzu hohe Verluste zuzufügen.«

»Warum ist die Maschine während des Krieges nicht eingesetzt worden?«, fragte Paul Trout.

»Kurz nachdem die John Bury verloren ging, entschied das Kriegsministerium, dass die Maschine zu einfach nachgebaut werden konnte, wenn sie in falsche Hände fiel, um dann gegen unsere eigenen Inselstreitkräfte eingesetzt werden zu können.«

»Und jetzt steht sie in irgendeinem obskuren militärischen Lagerhaus herum und setzt Staub an«, fügte Gamay hinzu.

»So in etwa könnte man es beschreiben«, erwiderte Gunn.

In diesem Moment richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf eine hochgewachsene markante Gestalt mit dunklem Haar und scharfen grünen Augen, die den privaten Speisesaal betrat.

»Bitte bleiben Sie sitzen«, sagte Dirk Pitt mit einem fröhlichen Lächeln. Er hatte eine kleine Karte in der Hand, die er jetzt hochhielt. »Das ist eine der Kreditkarten der Agency. Das Essen geht auf Uncle Sam.«

Gamay Trout lachte. »Kurt und Joe werden sich freuen.«

»Wo sind sie überhaupt?«, fragte Paul.

»Gleich hinter mir«, antwortete Dirk und deutete auf den gewölbten Türdurchgang.

Alle wandten sich um, während Kurt und Joe mit Leilani, die ihnen dichtauf folgte, hereinkamen. Die Frauen umarmten einander. Die Männer schüttelten sich die Hände, umarmten einander dann ebenfalls und küssten die Ladys auf die Wangen.

»Wir haben einen gewissen Vorsprung vor euch«, sagte Paul und winkte einem Kellner, der sofort an ihren Tisch kam. »Was wollt ihr trinken?«

Dirk bestellte einen Don Julio Blanco Tequila on the rocks mit Limonenscheibe und Salz. Joe nahm einen Jack Daniel’s on the rocks. Leilani bevorzugte einen Ketel One Cosmopolitan, während Kurt um einen Bombay Sapphire Gin Gibson bat – ein Martini mit Zwiebeln statt Oliven.

»Nun«, sagte Dirk zu Joe, »da du mit einem goldenen Stern auf deinem Personalbogen der Mann der Stunde bist, zeig uns doch mal deinen ägyptischen Orden.«

Joe errötete vor Verlegenheit. »Den habe ich zum letzten Mal hergezeigt.«

»Was hast du damit getan?«

»Ihn in meiner Sockenschublade deponiert.«

Gamay lachte. »Das nenne ich bescheiden.«

Paul hielt eine Zeitung hoch. Sie war rosafarben. The Financial Times, gedruckt in England.

Er las eine Liste möglicher Konsequenzen vor, die hätten eintreten können, wenn die Tragödie nicht abgewendet worden wäre. Dazu gehörten eine Million Tote, Hungersnöte, Anarchie und Krieg im Mittleren Osten, falls nämlich die Schuld Israel angehängt worden wäre, wenn die Spur nicht bis zu Jinn und seiner Gruppe im Jemen hätte zurückverfolgt werden können.

An diesem Punkt wirkte er beinahe verärgert. »Aber Joe wird dieser Teil gar nicht gefallen«, sagte er. »All dies und mehr wurde dank der heldenhaften Bemühungen des Staudammpersonals verhindert, des Militärs, zu dem auch Major Edo und ein namentlich nicht genannter Amerikaner gehörte, der jetzt als ägyptischer Held verehrt und mit dem angesehenen Nil-Orden ausgezeichnet wird.«

Gamay schüttelte den Kopf. »Das ist nicht fair.«

»Wenigstens hat er einen Orden dafür erhalten«, meinte Dirk grinsend.

»Ist das alles, was die Regierung für Joe tun konnte, nachdem er eine Million Menschenleben gerettet hat?«

Nun ergriff Leilani das Wort. »Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass Joe es gar nicht liebt, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, es sei denn, er ist von einer Schar schöner Frauen umgeben.«

Joe lachte. »Sie haben mir soeben einen Grund gegeben, nach Ägypten zurückzukehren.«

»Scherz beiseite«, sagte Dirk, »hätte Joe bei der kühnen Mission, die durch den Assuan-Hochdamm dringende Wasserflut zu stoppen, nicht sein Leben riskiert, wäre mindestens eine Million Menschen entlang des Flusses ums Leben gekommen.«

»Gibt es eine genaue aktuelle Zahl?«, fragte Rudi Gunn.

»Mindestens zehntausend«, erwiderte Pitt langsam.

Joe stand die Verlegenheit im Gesicht geschrieben. »Ich brauche noch einen Jack Daniel’s on the rocks. Diesmal einen Doppelten.«

Eine Zeit lang tranken sie schweigend, bis Paul das Wort ergriff. »Wie sieht es mit Jinns unterirdischer Fabrik aus?«

Dirk warf einen Blick auf das orangefarbene Zifferblatt seiner Doxa Taucheruhr. »Sie wurde vor vierzig Minuten in Schrott verwandelt.«

»Gibt es denn Bomben, die tief genug in den Berg eindringen können, um eine solche Fabrik zu vernichten?«, erkundigte sich Gamay.

»Die gibt es, und es ist passiert«, erklärte Pitt. »Eine schwere Drohne hat zwei Raketen abgefeuert. Ein Initialimpuls hat sie – vom Boden aus unsichtbar – auf dreihundert Meilen pro Stunde senkrecht nach unten beschleunigt. Danach zündete ihr Hauptantrieb und brachte sie auf über zweitausend Stundenmeilen. Damit schufen sie einen Krater von knapp zehn Metern Durchmesser. Aber das reichte noch immer nicht aus, um in Jinns unterirdische Fabrik einzudringen. Fünf Minuten später kam eine andere Waffe gegen die Höhlen zum Einsatz. Vier B-2 Bomber überflogen den Jemen, beladen mit sogenannten MOPs, einer militärischen Abkürzung für Massive Ordnance Penetrators. Dreißigtausend Pfund GPU-57s, die leistungsfähigste nichtnukleare Bunker sprengende Waffe der Welt. Die Bomben bestehen aus fünftausend Pfund Sprengstoff, verpackt in einer fünfundzwanzigtausend Pfund schweren Hülle aus Stahl. Sie schlagen mit einer derartigen Wucht auf, dass sie über einhundert Meter Gestein und Erdreich durchdringen können. Als sich die Staubwolke gelegt hatte, war der gesamte Berg verschwunden. Übrig geblieben ist lediglich ein Haufen Sand und Geröll. Die Ausrüstung und das Material zur Herstellung der Mikroroboter existieren aber nicht mehr.«

»Was ist mit Jinns rechter Hand – Sabah?«, fragte Kurt und schaute auf seine eigene Uhr. Er war froh, sie wieder am Arm tragen zu können, auch wenn ihn das einen neuen Motorroller gekostet hatte.

»Ebenfalls zerfasert und auf die Größe von Mikrorobotern reduziert«, sagte Pitt in bissigem Ton.

Schließlich wurde das Dinner unter den wachsamen Blicken des Chefkochs serviert, angefangen mit König Olaf Lachs nach Schwarzmeer-Art. Der nächste Gang war geräucherter Stör, gefolgt von Gänseleber und einer Auswahl von Schweinefleischpasteten und Ententerrine.

Der Hauptgang bestand aus Schweinefleischkarree à la St. Louis mit Hummerravioli, Lauchgemüse und Spiegeleiern.

Zum Dessert gab es Guaven und Mascarpone. Als Rotwein wurde Purple Angel Carmenère kredenzt, während der Weißwein ein Duckhorn Sauvignon Blanc war.

Gesättigt von dem erlesenen Essen, dem köstlichen Wein und der angenehmen Gesellschaft, verabschiedeten sie sich schließlich voneinander und verließen nach und nach das Restaurant, um sich in einer Stretchlimousine wiederzutreffen, die Dirk für seine Freunde hatte bereitstellen lassen, damit jeder sein Zuhause sicher und unbehelligt erreichte.

Leilani wohnte in einem Hotel in der Stadt, und Kurt versprach, sie dorthin zu bringen.

Dirk musterte ihn eindringlich. »Mag ja sein, dass du einiges verträgst, aber wenn dich ein Cop anhält, dann hast du sofort eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer am Hals. Ich empfehle dir dringend, ein Taxi zu nehmen.«

»Wenn du das möchtest, dann tue ich das natürlich«, sagte Kurt.

Nachdem die Stretchlimousine mit seinen Freunden abgefahren war, hielt ein Taxi vor dem Restaurant. Kurt und Leilani machten es sich für die Fahrt zu ihrem Hotel auf dem Rücksitz bequem.

»Haben Sie sich entschieden, den Job in der meeresbiologischen Abteilung der NUMA, den Dirk Ihnen anbietet, anzunehmen?«, fragte er.

Sie machte ein beinahe trauriges Gesicht. »Washington ist nichts für mich. Ich gehe zurück nach Hawaii und zum biologischen Institut in Maui.«

Kurt drückte ihre Hand. »Ich werde Sie vermissen.«

»Ich Sie auch«, sagte sie. »Aber ich hoffe, Sie verstehen das.«

Kurt lächelte. »Wie heißt er denn?«

Für einen kurzen Moment blitzte es in ihren Augen auf, dann erwiderte sie sein Lächeln. »Sein Name ist Kale Luka.«

Kurt nickte zufrieden. »Dann sind Sie wenigstens nicht allein.«

Das Taxi hielt vor ihrem Hotel. Sie öffnete die Tür und blieb noch einen Moment sitzen.

»Auf Wiedersehen, Leilani«, sagte Kurt leise. »Ich werde oft an Sie denken.«

»Und ich an Sie.« Sie lehnte sich zu ihm hinüber und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann fiel die Tür ins Schloss, und sie war verschwunden.