14

Langtang Valley, Nepal

Ehe Sam etwas erwidern konnte, schwang die Tür des Wohnwagens auf. Mit den Fingerspitzen stoppte Sam sie wenige Zentimeter vor ihren Gesichtern. Einer der Wächter trat über die Schwelle und ließ den Lichtstrahl seiner Taschenlampe durch den Raum wandern. Der Wächter blieb stehen. Sam sah, wie seine Schulter sich bewegte und Anstalten machte, sich in ihre Richtung zu drehen.

Sam schlug die Tür mit einer schnellen Hüftbewegung zu, machte einen einzigen Schritt vorwärts, dann holte er zu einem Tritt aus und erwischte den Wächter mit der Fußspitze in der Kniekehle. Während er zusammenbrach, packte Sam ihn am Kragen, riss ihn vorwärts und ließ die Stirn des Mannes auf die Schreibtischkante krachen. Der Wächter stöhnte erstickt auf und erschlaffte dann. Sam zog ihn nach hinten und schleifte ihn hinter die Tür. Er kniete sich hin und überprüfte den Pulsschlag des Mannes.

»Er lebt, aber es wird einige Zeit dauern, bis er aufwacht.«

Er rollte den Wächter herum, nahm ihm das Gewehr von der Schulter und stand auf.

Remi starrte ihren Mann einige Sekunden lang mit großen Augen an. »Das war die reinste James-Bond-Nummer.«

»Reines Glück und ein Stahlschreibtisch«, erwiderte er mit einem Achselzucken und lächelte gleichzeitig. »Eine unschlagbare Kombination.«

»Ich denke, du hast eine Belohnung verdient«, erwiderte Remi ebenfalls mit einem Lächeln.

»Später. Falls es ein Später gibt.«

»Es wäre schön, wenn es ein Später gäbe. Hast du einen Plan?«

»Autodiebstahl«, erwiderte Sam.

Er wandte sich um, trat an das nächste Heckfenster des Trailers und zog den Vorhang zur Seite. »Es ist ziemlich knapp, aber ich glaube, wir schaffen es.«

»Pass du vorne auf«, sagte Remi, »ich stehe am hinteren Fenster.«

Sam ging zum vorderen Fenster, schob den Vorhang beiseite und spähte hinaus. »Die Wächter versammeln sich auf dem freien Platz. Etwa zehn von ihnen. Die Drachenlady ist nicht zu sehen.«

»Wahrscheinlich ist sie nur kurz vorbeigekommen, um King die Drecksarbeit abzunehmen.«

»Sieht so aus, als überlegten sie, was sie tun sollen. Was es ist, werden wir in einer Sekunde erfahren, wenn sie feststellen, dass ihnen ein Mann fehlt.«

»Das Fenster ist offen«, meldete Remi. »Vom Fenster bis zum Erdboden sind es gut zweieinhalb Meter. Und in gut drei Metern Entfernung stehen ein paar kräftige Bäume.«

Sam ließ den Vorhang zurückfallen. »Wir können genauso gut jetzt schon verschwinden, ehe sie Gelegenheit hatten, sich zu organisieren.« Er nahm das Gewehr von der Schulter und inspizierte es. »Das ist was ganz Modernes.«

»Kommst du damit zurecht?«

»Sicherungsbügel, Abzugshebel, Magazin … das Loch, wo die Kugel rauskommt. Ich denke, ich werd’s schon schaffen.«

Plötzlich verstummte die Alarmsirene.

Sam ging zur Wohnwagentür und verriegelte sie. »Das hält sie vielleicht ein wenig auf«, erklärte er.

Er schnappte sich den nächsten Stuhl und trug ihn zum hinteren Fenster. Remi stieg darauf und zwängte sich durch die Öffnung. Sobald sie hindurch und unten war, folgte Sam.

Sie rannten zur Baumgrenze und suchten sich einen Weg zu der Wellblechhütte. Als zwischen den Bäumen deren Rückwand zu sehen war, blieben sie einen Moment lang stehen und sahen sich prüfend um. In der Ferne konnten sie noch immer die lauten Rufe der Wächter hören.

Sam und Remi gingen weiter, Sam vorn, das Gewehr gesenkt und seine Umgebung im Auge behaltend. Sie erreichten die Wellblechbaracke. Remi flüsterte »Tür« und deutete darauf. Sam nickte. Remi übernahm jetzt die Führung, als sie an der Außenwand entlanghuschten, bis sie mit der Schulter gegen den Türrahmen stieß. Sie drehte den Knauf. Die Tür war offen. Sie schob den Kopf durch den Spalt, zog ihn wieder zurück.

»Zwei Lastwagen stehen drin, nebeneinander. Offenbar Militär – grün, Zwillingsreifen, Ladefläche mit Aufbau aus Lkw-Plane, Heckklappe.«

»Lust auf eine Autofahrt?«, fragte Sam.

»Aber immer.«

»Setz dich hinters Lenkrad des linken Wagens. Ich lege den anderen lahm, dann komme ich zu dir. Halt dich bereit, den Motor zu starten und sofort loszufahren.«

»Verstanden.«

Remi öffnete die Tür gerade weit genug, so dass sie beide hindurchschlüpfen konnten. Sie waren auf halbem Weg zu den Lastwagen, als sie draußen auf der Straße Schritte hörten. Sam und Remi blieben am Heck des rechten Lkw stehen. Sam spähte um die Ecke der Heckklappe.

»Vier Männer«, sagte er. »Sie steigen in die Lastwagen, zwei in jedes Führerhaus.«

»Gehört das zu ihrem Notfallplan?«, fragte Remi.

»Schon möglich«, erwiderte Sam. »Okay. Plan B. Wir fahren als blinde Passagiere mit.«

Nahezu gleichzeitig sprangen die Motoren der Lastwagen an.

Vorsichtig, damit der Wagen durch ihr Gewicht nicht ins Schwanken geriet und die Wächter gewarnt wurden, stiegen Sam und Remi auf die Stoßstange des Lkw und schlängelten sich über die Heckklappe. Mit einem lauten Krachen griff die Kupplung, und der Lkw machte einen Ruck vorwärts. Arm in Arm gerieten Sam und Remi ins Stolpern und stürzten vornüber auf die Ladefläche.

 

Ihr Lastwagen bildete die Vorhut. Während sie in der Dunkelheit der Ladefläche lagen, die durch das Licht der Scheinwerfer des zweiten Lkw, das durch die olivgrüne Plane über der Heckklappe drang, gelegentlich aufgehellt wurde, wagten Sam und Remi zum ersten Mal nach zehn Minuten, ausreichend Luft zu holen. Rechts und links von ihnen waren Kisten unterschiedlicher Größe mit Spanngurten an Ringbolzen auf der Ladefläche des Lastwagens festgezurrt.

»Wir haben es geschafft«, flüsterte Remi.

»Drück die Daumen.«

»Was soll das heißen?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies ein chinesischer Armeetransporter ist.«

»Du nimmst doch wohl nicht ernsthaft an, was ich da aus deinen Worten herauszuhören glaube, oder?«

»Doch, das tue ich. Es liegt wohl auf der Hand, dass King mit irgendjemandem beim chinesischen Militär unter einer Decke steckt. Die Wachen sind chinesisch, desgleichen wahrscheinlich auch ihre Waffen. Und wir wissen, was sich in den Kisten befindet.«

»Wie weit ist es bis zur Grenze?«

»Zwanzig Meilen, vielleicht fünfundzwanzig. Vier Stunden, mehr oder weniger.«

»Für uns genügend Zeit, zu verschwinden.«

»Die Frage ist nur, wie weit wir dann von der Zivilisation entfernt sind?«

»Allmählich fängst du an, mir die gute Laune zu verderben«, sagte sie, machte es sich in Sams Armbeuge gemütlich und lehnte den Kopf an seine Schulter.

 

Trotz der harten Unterlage in Gestalt der Ladefläche des Lkw und des ständigen Schwankens und Schüttelns empfanden Sam und Remi das dumpfe Dröhnen des Motors als wohltuend. Sie dösten im Halbschlaf vor sich hin, aus dem Sam gelegentlich aufwachte, um einen Blick auf die Uhr zu werfen.

Nach einer Stunde Fahrt wurden sie durch das laute Quietschen der Lkw-Bremsen aus dem Schlaf gerissen. Die Scheinwerfer des nachfolgenden Lastwagens wurden jenseits der Heckklappe größer und heller. Sam richtete sich auf und zielte mit dem Gewehr auf die Heckklappe. Remi richtete sich ebenfalls auf, sah ihn fragend an, sagte jedoch nichts.

Der Lastwagen wurde langsamer, dann kam er zum Stillstand. Die Scheinwerfer des nachfolgenden Lastwagens erloschen. Führerhaustüren wurden geöffnet, dann zugeschlagen. Auf beiden Seiten der Ladefläche ertönten knirschende Schritte. Sie hielten an der Heckklappe an, und Stimmen unterhielten sich murmelnd auf Chinesisch. Sam und Remi rochen Zigarettenrauch.

Sam drehte den Kopf und flüsterte in Remis Ohr: »Bleib ganz still sitzen.« Sie nickte.

Sich mit äußerster Vorsicht bewegend, zog Sam die Beine an und ging auf den Fußballen in eine geduckte Hockstellung. Er machte zwei kriechende Schritte zur Heckklappe und drehte den Kopf lauschend hin und her. Nach einem kurzen Moment wandte er sich zu Remi um und streckte vier Finger in die Höhe. Vier Wachen flankierten die Heckklappe. Er deutete auf sein Gewehr, dann in Richtung der Soldaten.

Sie reichte ihm das Gewehr. Sam legte es sich quer auf die Oberschenkel, dann drückte er die Handgelenke zusammen. Sie nickte. Er gab ihr durch Gesten zu verstehen, sie solle sich hinlegen. Sie befolgte seine Anweisung.

Sam vergewisserte sich, dass die Waffe entsichert war, straffte sich und holte tief Luft. Dann streckte er die linke Hand aus, raffte ein Stück Plane zusammen und riss sie zur Seite.

»Hände hoch!«, rief er.

Die beiden Soldaten, die dicht an der Stoßstange standen, wirbelten herum und wichen gleichzeitig einen Schritt zurück. Sie prallten gegen ihre Kameraden, die sich hektisch bemühten, ihre Gewehre von der Schulter zu nehmen.

»Nein!«, sagte Sam und brachte das Gewehr an der Schulter in Anschlag.

Trotz der Sprachbarriere verstanden die Soldaten den Befehl und erstarrten. Sam musste mehrmals den Gewehrlauf hin und her schwenken, ehe die Männer begriffen, was er wollte. Langsam nahm jeder Mann sein Gewehr von der Schulter und ließ es zu Boden fallen. Sam trieb sie einige Schritte zurück, dann kletterte er über die Heckklappe und sprang von der Ladefläche herab.

»Alles klar«, sagte er zu Remi.

Sie sprang ebenfalls von der Ladefläche und landete neben ihm.

»Sie sehen völlig verschreckt aus«, stellte sie fest.

»Perfekt. Je verschreckter sie sind, desto besser ist es für uns«, sagte Sam. »Möchtest du ihnen die Ehre erweisen?«

Remi sammelte die Gewehre ein und legte sie bis auf eins auf die Ladefläche. Sam fragte: »Sind sie entsichert?«

»Ich glaube …«

»Es ist der kleine Schalthebel über dem Abzugsbügel auf der rechten Seite.«

»Schon gesehen. Okay.«

Sam und Remi und die vier chinesischen Soldaten starrten einander an. Zehn Sekunden lang sagte keiner ein Wort. Schließlich fragte Sam: »Englisch?«

Der Soldat rechts außen antwortete: »Wenig Englisch.«

»Schön. Okay. Ihr seid meine Gefangenen.«

Remi seufzte tief. »Sam …«

»Tut mir leid. Ich habe mir immer gewünscht, das einmal sagen zu können.«

»Nun, da du es endlich geschafft hast, was tun wir mit ihnen?«

»Wir fesseln sie und … o nein. Das ist nicht gut.«

»Was?« Remi sah zu ihrem Mann. Sam schaute mit zusammengekniffenen Augen über die Köpfe der Soldaten hinweg zum Führerhaus des zweiten Lastwagens. Sie folgte seinem Blick und erkannte die Umrisse einer Gestalt, die sich plötzlich wegduckte.

»Wir haben uns verzählt«, schimpfte Sam halblaut.

»Das sehe ich.«

»Setz dich hinters Lenkrad, Remi. Starte den Motor. Achte auf …«

»Da kannst du ganz sicher sein«, erwiderte sie, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte zum vorderen Ende des Lastwagens. Sekunden später sprang der Motor an. Die vier Soldaten scharrten nervös mit den Füßen und sahen einander unsicher an.

»Alles an Bord!«, rief Remi aus dem Fenster auf der Fahrerseite.

»Bin schon unterwegs, Liebes!«, antwortete Sam, ohne sich umzudrehen.

Er behielt die Soldaten im Auge. »Macht Platz! Schnell, schnell!«, rief er und wedelte mit dem Gewehrlauf. Die Männer wichen zur Seite aus, so dass Sam freies Schussfeld auf den Kühler des zweiten Lastwagens hatte. Er hob das Gewehr und zielte.

Der fünfte Mann, der sich bis zu diesem Moment im Führerhaus des zweiten Trucks versteckt hatte, schob plötzlich den Oberkörper aus dem Fenster auf der Fahrerseite. Sam sah, wie die Silhouette seines Gewehrs zu ihm herumschwang.

»Stopp!«

Der Mann verrenkte den Oberkörper und drehte sich mitsamt dem Gewehr weiter in Sams Richtung.

Sam zielte und feuerte zwei Schüsse durch die Windschutzscheibe. Die Soldaten wichen auseinander und tauchten ins Unterholz, das die Straße auf beiden Seiten säumte. Sam hörte einen scharfen Knall. Etwas prallte mit dumpfem Laut gegen die Heckklappe neben ihm. Er duckte sich, wich zur anderen Seite der Stoßstange aus, drehte sich abermals um und feuerte drei Schüsse auf die Frontseite des anderen Lastwagens – in der Hoffnung, den Kühler oder den Motorblock zu treffen. Dann machte er kehrt, rannte zur Beifahrertür des Trucks, riss sie auf und kletterte ins Führerhaus.

»Ich glaube, wir haben ihre Gastfreundschaft weit über Gebühr beansprucht«, sagte er.

Remi legte den Gang ein und trat aufs Gaspedal.

Sie hatte noch keine einhundert Meter zurückgelegt, als sie erkennen mussten, dass Sams Schüsse entweder ihr Ziel verfehlt oder nur unzureichenden Schaden angerichtet hatten. Im Seitenspiegel konnten er und Remi verfolgen, wie die Scheinwerfer des Trucks aufleuchteten. Die vier Soldaten kamen aus ihrer Deckung und schwangen sich an Bord, zwei ins Führerhaus, die anderen beiden auf die Ladefläche. Der Truck setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.

Remi stieß einen Warnruf aus. »Schmale Brücke voraus!«

Sam riskierte einen Blick nach vorn. Obgleich immer noch gut zweihundert Meter entfernt, sah die fragliche Brücke nicht nur schmal aus, sondern kaum breiter als ihr Lastwagen. »Tempo, Remi«, warnte er.

»Ich fahre so schnell ich kann.«

»Ich meinte, langsamer.«

»Du machst wohl Witze! Halt dich fest!«

Der Lastwagen geriet in eine Fahrrinne und schlingerte zur Seite, hüpfte hoch und krachte wieder zurück. Die Brücke füllte die Windschutzscheibe. Noch fünfzig Meter.

»Oh, natürlich«, stöhnte Remi verärgert. »Es musste natürlich unbedingt so eine sein.«

Obgleich breiter und stabiler verankert, war die Brücke lediglich eine größere Version des Typs, den sie früher an diesem Tag zu Fuß überquert hatten.

Der Lastwagen machte erneut einen Satz. Sam und Remi wurden von ihren Sitzen hochgeschleudert und stießen mit den Köpfen gegen das Dach des Führerhauses. Remi knurrte wütend, während sie mit dem Lenkrad rang.

Sie hatten den Brückenkopf beinahe erreicht. Im letzten Moment trat Remi auf die Bremsen. Sie kreischten jämmerlich, und der Truck kam schlingernd zum Stehen. Eine dichte Staubwolke hüllte sie ein.

Sam hörte das Getriebe protestierend knirschen und musste mitansehen, wie seine Frau in den Rückwärtsgang schaltete. »Remi, was hast du vor?«, fragte er entgeistert.

»Ein Hühnchenspiel im Rückwärtsgang«, antwortete sie mit einem grimmigen Lächeln.

»Riskant.«

»Haben wir heute schon irgendetwas gemacht, das nicht riskant war?«, fragte sie.

»Touché«, gab Sam sich geschlagen.

Remi rammte den Fuß aufs Gaspedal. Mit einem protestierenden Aufheulen des Motors setzte sich der Wagen rückwärts fahrend in Bewegung, anfangs nur langsam, doch dann mit schnell zunehmender Geschwindigkeit. Durch die Staubwolken, die Remis hastiger Stopp erzeugt hatte, konnte Sam vom zweiten Truck nur die Scheinwerfer sehen. Er beugte sich aus dem Seitenfenster und feuerte eine kurze Salve von drei Schüssen ab, dann eine zweite. Der Lastwagen schwenkte zur Seite und geriet aus Sams Sicht.

Die Augen auf ihren Außenspiegel gerichtet, sagte Remi: »Sie halten an. Sie sehen uns. Sie setzen zurück.«

Über dem Dröhnen des Motors nahm er das trockene Knallen von Gewehrfeuer wahr. Sie gingen auf Tauchstation. Mit dem Kopf unterhalb des Armaturenbretts lehnte sich Remi zur Seite, um bessere Sicht auf den Außenspiegel zu haben. Der Verfolgertruck fuhr jetzt ebenfalls rückwärts, aber die Kombination von Remis Kollisionskurs-Taktik und Sams Gewehrfeuer hatte den Fahrer völlig aus dem Konzept gebracht. Der Lastwagen schlingerte von einer Seite auf die andere, wobei die Reifen immer wieder über die Straßenböschung ratterten.

»Pass auf! Gleich kracht’s!«, rief Remi.

Sam lehnte sich in seinem Sitz zurück und stemmte die Füße gegen das Armaturenbrett. Einen Moment später blieb der Lastwagen mit einem Ruck stehen. Remi schaute in ihren Außenspiegel. »Sie sind von der Straße geflogen.«

»Dann lass uns nicht hier herumstehen«, drängte Sam.

»Wird gemacht.«

Remi schaltete zurück auf Vorwärtsfahrt und gab Gas. Erneut tauchte vor ihnen der Brückenkopf auf.

»Es hat nicht ausgereicht«, verkündete Remi. »Sie sind wieder auf der Straße.«

»Ein hartnäckiges Volk, nicht wahr? Versuch mal, ein wenig ruhiger zu fahren«, sagte er und öffnete die Tür auf seiner Seite.

»Sam, was willst du …?«

»Ich bin hinten, wenn du mich brauchst.«

Er hängte sich das Gewehr um den Hals und stellte sich dann, indem er sich am Türrahmen des Führerhauses festhielt, auf das Trittbrett. Mit der freien Hand packte er die Seitenplane, zerrte daran und öffnete mit einem Ruck die Schnappverschlüsse. Er packte die Querstrebe, schwang das linke Bein über die Seitenwand und zog sich dann auf die Ladefläche. Schließlich kroch er zur Rückwand des Führerhauses und öffnete das kleine Schiebefenster.

»Hi«, sagte er.

»Ebenfalls hi. Halt dich fest. Ich mach deine Tür zu.«

Remi lenkte den Lastwagen mit einem Ruck nach rechts, dann sofort wieder nach links. Sams offene Tür fiel ins Schloss. Remi fragte: »Was hast du vor?«

»Sabotage. Wie nahe sind sie?«

»Fünfzig Meter. Wir haben in zehn Sekunden die Brücke erreicht.«

»Alles klar.«

Sam robbte zur Heckklappe. Im dämmrigen Licht tastete er auf der Pritsche herum, bis seine Hand eins der anderen Gewehre berührte. Er nahm es an sich und ließ sein eigenes fallen, dann sammelte er schnell die anderen Magazine ein.

»Die Brücke!«, rief Remi. »Ich bremse!«

Sam wartete, bis er das hohle Rumpeln der Lastwagenräder auf den Holzbohlen der Brücke hören konnte, dann schob er sich halb durch die hintere Klappe der Lkw-Plane, zielte mit dem Gewehr auf die Brückentrasse und eröffnete das Feuer. Die Projektile schlugen ins Holz ein, rasten harmlos durch die Lücken zwischen den Bohlen und wirbelten Wolken von Holzsplittern in die Luft. Sam zog sich zurück, wechselte das Magazin und eröffnete erneut das Feuer, diesmal jedoch abwechselnd auf die Brücke und auf den verfolgenden Truck, der soeben auf die Brücke gelangt war. Er schwenkte nach links, prallte gegen das Seitengeländer, dann fand er in die Spur zurück und fuhr wieder geradeaus. Sam sah am Seitenfenster orangefarbenes Mündungsfeuer aufblitzen. Drei Kugeln schlugen in die Heckklappe ein, daraufhin warf er sich zurück auf die Ladefläche. Eine weitere Gewehrsalve zerfetzte die hintere Plane und prasselte gegen die Rückwand des Führerhauses..

»Sam?«, rief Remi.

»Es hat nicht funktioniert.«

»Hab ich mir fast gedacht!«

»Was denkst du über die mutwillige Zerstörung von fossilen Artefakten?«

»Im Allgemeinen bin ich dagegen, aber dies ist eine besondere Situation.«

»Dann verschaff mir ein wenig Zeit.«

Remi bremste, dann beschleunigte sie wieder, in der Hoffnung, dem Schützen ein genaues Zielen zu erschweren. Sam rollte sich auf den Bauch, tastete auf der Ladefläche herum, bis er den ersten Spanngurt fand, der die Kisten vor dem Verrutschen bewahrte, und löste die Ratschensperre. Wenig später hatte er sämtliche Gurte entfernt. Er robbte zur Heckklappe, löste die Verriegelung, und die Klappe fiel nach unten.

»Bomben los!«, rief Sam und schob die erste Kiste hinaus. Sie prallte auf die Brückentrasse, sprang hoch, krachte gegen die Stoßstange des Trucks und platzte auf. Holzsplitter und die Holzwolle der Verpackung flogen durch die Luft.

»Keine Wirkung!«, rief Remi.

Sam bewegte sich rückwärts, stemmte sich mit der Schulter gegen den gesamten Kistenstapel, dann suchte er an der Rückwand des Führerhauses mit den Füßen Halt und streckte die Beine. Mit einem Ächzen rutschte der Stapel über die Ladepritsche. Sam hielt inne, beugte die Beine, suchte sich einen neuen Halt und streckte sie wieder, ganz wie ein Linebacker, der seine Kräfte mit einem Trainingsschlitten misst.

Der Kistenstapel rutschte über die Ladekante und taumelte dem verfolgenden Truck entgegen. Sam wartete nicht ab, welches Ergebnis er mit seiner Aktion erzielte, sondern wechselte mit einem Seitenschritt zum zweiten Kistenstapel und wiederholte alles.

Bremsen quietschten. Glas zerschellte klirrend. Metall fraß sich knirschend in Holz.

»Jetzt hat es geklappt!«, meldete Remi. »Sie sind stehen geblieben.«

Sam richtete sich auf den Knien auf und sah Remi durch die schmale Fensteröffnung fragend an. »Aber für wie lange?«

Sie schenkte ihm einen kurzen Blick und ein Lächeln. »So lange, wie es dauert, um ihr Fahrgestell von einem halben Dutzend Holzkisten zu befreien.«

Das Geheimnis von Shangri La
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