Vierundzwanzigstes Kapitel
Meine gegenwärtige Lage war so, daß jedes bewußte Denken darin unterging und verendete. Die Wut riß mich fort. Die Rachsucht allein verlieh mir Kraft und Fassung, sie bestimmte meine Gefühle und erlaubte es mir, zu Zeiten berechnend und ruhig zu sein, wo sonst der Wahnsinn oder der Tod mein Teil gewesen wären.
Mein erster Entschluß war, Genf für immer zu verlassen. Meine Heimat, die mir teuer war, als ich glücklich war und geliebt wurde, wurde mir jetzt, in meinem Elend, verhaßt. Ich versah mich mit Geldmitteln, dazu ein paar Schmuckstücken, die meiner Mutter gehört hatten, und reiste ab.
Und jetzt begannen meine Irrfahrten, die erst mit dem Tod enden werden. Ich habe einen ungeheuren Teil der Erde durchmessen und alle Beschwernisse durchgemacht, die Reisenden in Wüsten und barbarischen Ländern begegnen. Wie ich es überlebt habe, weiß ich kaum. Manches Mal habe ich meine versagenden Glieder auf die sandige Einöde gebettet und den Tod herbeigefleht. Doch der Rachedurst hielt mich am Leben. Ich wagte nicht zu sterben und meinen Gegner lebend zurückzulassen.
Als ich Genf verließ, war es meine erste Aufgabe, irgendeine Spur aufzunehmen, um den Schritten meines teuflischen Feindes folgen zu können. Doch ich hatte keinen festen Plan. Und ich streifte viele Stunden lang durch die Umgebung der Stadt, unsicher, welchen Weg ich einschlagen sollte. Als die Nacht hereinbrach, fand ich mich am Tor des Friedhofs, wo Wilhelm, Elisabeth und mein Vater ruhten. Ich trat ein und schritt dem Grabmal zu, das ihre Ruhestätte bezeichnet. Alles war still, bis auf das Laub der Bäume, das der Wind sachte bewegte. Die Nacht war fast schwarz, und der Schauplatz wäre sogar für einen Unbeteiligten feierlich und ergreifend gewesen. Es war, als huschten die Geister der Verschiedenen umher und würfen einen spürbaren, jedoch nicht sichtbaren Schatten auf den Trauernden.
Der tiefe Schmerz, den dieser Ort anfangs wachgerufen hatte, wich rasch der Wut und Verzweiflung. Sie waren tot, und ich lebte. Auch ihr Mörder lebte, und um ihn zu vernichten, mußte ich mein ermattetes Dasein weiterschleppen. Ich kniete mich in das Gras, küßte die Erde und rief mit bebenden Lippen: »Bei der geweihten Erde, auf der ich knie, bei den Schatten, die mich umschweben, bei meiner tiefen und ewigen Trauer schwöre ich, auch bei dir, o Nacht, und den Geistern, die über dich herrschen: ich will den Dämon, der dieses Unglück verschuldet hat, verfolgen, bis er oder ich im tödlichen Kampf umkommen. Zu diesem Zweck will ich mein Leben erhalten: um diese teure Rache zu üben, will ich wieder die Sonne sehen und das grüne Gras der Erde beschreiten, die sonst für immer aus meinen Augen verschwinden würden. Und ich rufe euch an, ihr Geister der Toten, und euch, schweifende Diener der Rache, mir bei meinem Werk beizustehen und mich zu leiten. Laßt das verfluchte und höllische Ungeheuer tief von der Todesqual trinken, laßt ihn die Verzweiflung spüren, die jetzt mich foltert.«
Ich hatte meine Beschwörung in feierlichem Ton begonnen und mit einer frommen Scheu, die mich beinahe davon überzeugte, die Schatten meiner ermordeten Freunde hörten mein Gelöbnis und hießen es gut. Doch zum Schluß ergriffen die Furien von mir Besitz, und die Wut erstickte meine Stimme.
Durch die Stille der Nacht antwortete mir lautes Gelächter voll teuflischer Bosheit. Anhaltend und eindringlich hallte es mir in den Ohren. Die Berge warfen sein Echo zurück, und mir war, als umringte mich die ganze Hölle mit Hohngelächter. Gewiß hätte ich in diesem Augenblick in einem Anfall der Raserei mein elendes Leben weggeworfen, wäre nicht mein Schwur vernommen worden und wäre ich nicht der Rache vorbehalten gewesen. Das Lachen verhallte. Dann sprach mich eine wohlbekannte und verhaßte Stimme, offenbar dicht an meinem Ohr, mit vernehmlichem Flüstern an: »Ich bin zufrieden, erbärmlicher Wicht! Du hast beschlossen, am Leben zu bleiben, und ich bin zufrieden.«
Ich stürzte zu der Stelle, von der die Stimme kam. Doch der Teufel wich meinem Griff aus. Plötzlich stieg die breite Scheibe des Mondes auf und schien voll auf seine gräßliche, mißgebildete Gestalt, als er mit übermenschlicher Geschwindigkeit entfloh.
Ich verfolgte ihn, und seit vielen Monaten ist das meine Aufgabe. Von einer schwachen Spur geleitet, folgte ich den Windungen der Rhone, jedoch vergeblich. Das blaue Mittelmeer erschien, und infolge eines eigenartigen Zufalls sah ich den Unhold bei Nacht ein nach dem Schwarzen Meer bestimmtes Schiff entern und sich darin verstecken. Ich buchte eine Passage auf demselben Schiff, doch er entkam, ich weiß nicht, wie.
In den Einöden des Tartarenreiches und Rußlands bin ich ihm stets auf der Spur geblieben, wenn er mir auch immer wieder entwischte. Manchmal gaben mir die Bauern, von dieser gräßlichen Erscheinung verängstigt, einen Hinweis, welche Richtung er genommen hatte, manchmal, wenn er befürchtete, daß ich verzweifeln und sterben würde, wenn ich ihn ganz aus den Augen verlöre, ließ er selbst mir ein Zeichen zurück, um mich weiter voranzuführen. Der Schnee wirbelte auf mich herab, und ich sah den Abdruck seines riesigen Schrittes auf der weißen Fläche. Sie, der gerade erst ins Leben tritt, für den die Sorge etwas Neues und die Qual etwas Unbekanntes ist, wie können Sie verstehen, was ich gefühlt habe und noch fühle? Kälte, Hunger und Erschöpfung waren die geringsten Leiden, die ich zu ertragen hatte. Ein Teufel hatte mich verflucht, und ich trug meine eigene Hölle mit mir herum, und doch folgte ein guter Genius meinen Schritten und lenkte sie. Und wenn es mir besonders sauer wurde, half er mir oft plötzlich aus scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten heraus. Manchmal, wenn die Menschennatur, vom Hunger übermannt, erschöpft zusammenbrach, stand in der Einöde eine Mahlzeit für mich bereit, die mich zu Kräften brachte und wieder belebte. Die Nahrung war freilich grob, wie sie die Bauern des Landes aßen; doch ich will nicht daran zweifeln, daß die Geister, die ich beschworen hatte, mir zu helfen, sie dort hingelegt hatten. Oft, wenn alles trocken, der Himmel wolkenlos und ich vom Durst ausgedörrt war, trübte ein Wölkchen den Himmel, goß die paar Tropfen aus, die mich erquickten, und verschwand.
Wenn möglich, folgte ich den Flußläufen. Doch der Dämon mied diese meistens, weil sich gerade hier die Bevölkerung des Landes dichter zusammenzog. In anderen Gegenden traf man selten auf Menschen. Dort ernährte ich mich im allgemeinen von dem wildlebenden Getier, das mir über den Weg lief. Ich hatte Geld bei mir und gewann die Freundschaft der Dorfbewohner, indem ich welches verteilte; oder ich brachte ihnen etwas von dem Wild mit, das ich gejagt hatte, und nachdem ich mir einen bescheidenen Anteil genommen hatte, machte ich es immer denen zum Geschenk, die mir Feuer und Kochgerätschaften überlassen hatten.
So, wie ich mein Leben verbrachte, war es mir nichts als verhaßt, und allein im Schlaf vermochte ich Glück zu kosten. O gesegneter Schlaf! Oft, wenn mir das Herz am schwersten war, legte ich mich zur Ruhe, und meine Träume lullten mich ein bis zu tiefstem Entzücken. Die Geister, die mich behüteten, hatten mir diese Augenblicke, oder vielmehr Stunden des Glücks verschafft, damit ich bei Kräften bliebe, um meine Wallfahrt zu vollenden. Ohne diese Atempause wäre ich unter meiner Mühsal zusammengebrochen. Tagsüber hielt mich die Hoffnung auf die Nacht aufrecht und bei gutem Mut: denn im Schlaf sah ich meine Freunde, meine Frau und mein geliebtes Vaterland. Wieder sah ich das gütige Antlitz meines Vaters, hörte den Silberklang der Stimme meiner Elisabeth und erblickte Clerval in der Blüte der Jugend und Gesundheit. Oft, wenn ich von einem beschwerlichen Marsch erschöpft war, redete ich mir ein, ich träume bis zur Nacht, und dann werde ich in den Armen meiner liebsten Freunde die Wirklichkeit genießen. Welche qualvolle Liebe ich für sie empfand! Wie ich mich an ihre lieben Gestalten klammerte, wenn sie manchmal sogar in meinen wachen Stunden spukgleich vor mir standen und mir einredeten, sie seien noch am Leben! In solchen Augenblicken erstarb die Rachsucht, die in meinem Herzen brannte, und ich setzte meinen Weg zur Vernichtung des Dämons fort, mehr als eine vom Himmel auferlegte Pflicht, als mechanischen Impuls einer mir unbewußten Kraft, denn als glühenden Wunsch meiner Seele.
Wie es um die Gefühle dessen stand, den ich verfolgte, kann ich nicht wissen. Manchmal hinterließ er mir freilich auf Baumrinde geschriebene oder in Stein gehauene Zeichen, die mich weiterwiesen und meine Wut aufstachelten. »Meine Herrschaft ist noch nicht zu Ende« (diese Worte waren auf einer solchen Inschrift zu lesen), »du lebst, und meine Macht ist vollkommen. Folge mir, ich suche das ewige Eis des Nordens, wo du die Qual von Kälte und Frost fühlen wirst, gegen die ich unempfindlich bin. Wenn du nicht zu saumselig folgst, findest du in der Nähe einen toten Hasen. Iß und stärke dich. Komm, mein Feind. Wir müssen noch miteinander um unser Leben ringen, aber viele schwere und trübe Stunden mußt du noch ertragen, bis es soweit ist.«
Höhnischer Teufel! Noch einmal schwöre ich Rache. Noch einmal weihe ich dich, elender Unhold, der Folter und dem Tod. Nie will ich meine Suche aufgeben, bis er umkommt oder ich. Und mit welcher Verzückung werde ich mich dann mit meiner Elisabeth und meinen verstorbenen Freunden vereinigen, die schon jetzt die Belohnung für meine langwierige Mühsal und schreckliche Pilgerfahrt vorbereiten!
Während ich meine Reise gen Norden fortsetzte, wurden die Schneefälle dichter, und die Kälte nahm in einem beinahe unerträglichen Maße zu. Die Bauern hatten sich in ihre Hütten verkrochen, und nur einige wenige ganz abgehärtete wagten sich hinaus, um die Tiere zu fangen, die der Hunger zum Beutesuchen aus ihren Schlupfwinkeln getrieben hatte. Die Flüsse waren zugefroren, und ich konnte keine Fische mehr fangen, und so war ich von meiner wichtigsten Nahrungsquelle abgeschnitten.
Der Triumph meines Feindes steigerte sich mit der Schwierigkeit meiner Aufgabe. Eine Inschrift, die er zurückließ, lautete: »Bereite dich vor! Deine Mühsal fängt erst an: hülle dich in Pelze und beschaffe dir Nahrung, denn bald treten wir eine Reise an, wo deine Leiden meinen immerwährenden Haß befriedigen werden!«
Diese höhnischen Worte stärkten meinen Mut und meine Standhaftigkeit. Ich nahm mir vor, mein Ziel nicht aufzugeben. Und den Himmel um Beistand anrufend, durchquerte ich mit unvermindert brennendem Eifer ungeheure Einöden, bis in der Ferne als äußerste Begrenzung des Horizonts der Ozean aufblinkte. Ach! Wie wenig er doch den blauen Gewässern des Südens glich! Mit Eis bedeckt, ließ er sich nur durch seinen noch rauheren und zerklüfteteren Anblick vom Land unterscheiden. Die Griechen weinten vor Freude, als sie von den Bergen Asiens aus das Mittelmeer erblickten, und begrüßten beglückt das Ende ihrer Mühen. Ich weinte nicht, doch ich kniete nieder und dankte aus vollem Herzen dem Genius, der mich leitete, daß er mich in Sicherheit an den Ort geführt hatte, wo ich, dem Hohn meines Gegners zum Trotz, auf ihn zu treffen und mit ihm ringen zu können hoffte. Einige Wochen zuvor hatte ich mir einen Schlitten und Hunde beschafft und so die Schneeflächen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durchmessen. Ich weiß nicht, ob der Unhold dieselben Hilfsmittel besaß, doch ich bemerkte, so wie ich vorher bei der Verfolgung täglich an Boden verloren hatte, holte ich jetzt auf! Und zwar in einem Maße, daß er mir nur eine Tagereise voraus war, als ich zum ersten Mal den Ozean erblickte, und ich hoffte, ihn abfangen zu können, bevor er den Strand erreichte. Also stürmte ich mit neuem Mut voran und erreichte nach zwei Tagen ein elendes Dörfchen an der Meeresküste. Ich fragte die Bewohner nach dem Unhold und bekam genaue Auskunft. Ein riesenhaftes Ungeheuer, sagten sie, sei in der vorigen Nacht angekommen, mit einem Gewehr und vielen Pistolen bewaffnet. Die Bewohner einer abseits gelegenen Kate seien aus Angst vor seinem gräßlichen Aussehen geflüchtet. Er habe ihren Wintervorrat an Nahrung mitgenommen und auf einen Schlitten geladen, und zum Ziehen habe er eine große Meute Schlittenhunde gegriffen, sie ins Geschirr gespannt und noch in derselben Nacht zur Freude der schreckerfüllten Dorfbewohner seine Fahrt über das Meer fortgesetzt, in eine Richtung, wo kein Land liege, und sie vermuteten, er müsse sehr bald im Eis einbrechen und umkommen oder im ewigen Frost erfrieren.
Als ich diese Auskunft vernahm, erlitt ich zunächst einen Verzweiflungsanfall. Er war mir entkommen, und ich mußte eine verderbenbringende und beinahe endlose“ Fahrt über die zu Bergen getürmten Eismassen des Ozeans antreten – in einer Kälte, die kaum ein Einheimischer lange aushalten konnte und die ich, der aus einem freundlichen und sonnigen Klima stammte, nicht zu überleben hoffen konnte. Doch bei dem Gedanken, der Unhold könnte am Leben bleiben und endgültig triumphieren, stellten sich meine Wut und Rachsucht wieder ein und überschwemmten einer gewaltigen Flut gleich jedes andere Gefühl. Nach einer kurzen Rast, während derer mich die Geister der Toten umschwebten und mich zur Anspannung aller Kräfte und zur Rache anstachelten, bereitete ich mich auf meine Reise vor.
Ich tauschte meinen Landschlitten gegen einen anderen ein, der den Unebenheiten des gefrorenen Ozeans angepaßt war. Und nachdem ich einen reichlichen Vorrat an Proviant eingekauft hatte, ließ ich das Festland hinter mir zurück.
Ich kann nicht abschätzen, wie viele Tage seither vergangen sind, doch ich habe Leiden durchgemacht, die ich nur ertragen konnte, weil mich das in meinem Herzen ewig brennende Gefühl des Hungers nach gerechter Vergeltung dazu befähigte. Oft versperrten mir ungeheure und zerklüftete Eisberge den Weg, und oft hörte ich das Grollen der Grundsee, die mir meinen Untergang androhte. Doch wieder kam der Frost und machte den Weg über das Meer sicher.
Nach der Menge der verbrauchten Vorräte zu schätzen, bin ich drei Wochen unterwegs gewesen. Und die ständig neu hinausgeschobene Hoffnung drückte mir immer wieder auf die Seele und preßte mir oft genug bittere Tropfen der Enttäuschung und der Pein aus den Augen. Die Verzweiflung hatte wirklich ihre Beute fast sicher, und bald wäre ich unter dieser Trübsal zusammengebrochen. Einmal, nachdem die armen Tiere, die mich zogen, mit unglaublicher Anstrengung den Gipfel eines steilen Eisberges erklommen hatten und eines vor Erschöpfung verendete, musterte ich beklommen die weite Fläche vor mir, als mein Auge auf der grauen Eisfläche plötzlich einen dunklen Punkt gewahrte. Ich spähte angestrengt, worum es sich da handele, und brach in einen wilden Frohlockensschrei aus, als ich einen Schlitten und darin die mißgebildeten Proportionen einer wohlbekannten Gestalt erkannte. Oh, mit welch glühender Gewalt floß die Hoffnung in mein Herz zurück! In meine Augen traten warme Tränen, die ich hastig wegwischte, damit sie meine Sicht auf den Dämon nicht behinderten, doch immer noch trübten die brennenden Tropfen meinen Blick, bis ich, den auf mich einstürmenden Gefühlen nachgebend, laut weinte.
Aber jetzt war kein Zögern angebracht. Ich machte die Hunde von ihrem toten Gefährten frei, gab ihnen eine reichliche Portion Futter, und nach einer Stunde Rast, die absolut notwendig, mir aber zutiefst lästig war, setzte ich meinen Weg fort. Der Schlitten war noch sichtbar, ich verlor ihn auch nicht wieder aus den Augen, bis auf die Momente, wenn ihn kurze Zeit ein Eisfels mit seinen Zacken verbarg. Ich holte wirklich merklich auf, und als ich nach einer Fahrt von zwei Tagen meinen Feind höchstens eine Meile entfernt erblickte, hüpfte mir das Herz im Leibe.
Doch jetzt, als ich fast in Reichweite meines Feindes zu sein schien, wurden meine Hoffnungen plötzlich ausgelöscht, und ich verlor so vollständig wie nie zuvor jede Spur von ihm. Eine Grundsee begann zu grollen; während sie vordrang und das Wasser unter mir sich heranwälzte und anschwoll, wurde ihr Donner von Augenblick zu Augenblick bedrohlicher und erschreckender. Ich drängte vorwärts, jedoch vergeblich. Der Wind frischte auf, die See toste, und wie unter dem mächtigen Stoß eines Erdbebens splitterte die Eisdecke und riß mit einem ungeheuren, betäubenden Krachen auf. Es war rasch geschehen: binnen weniger Minuten wogte eine aufgewühlte See zwischen mir und meinem Feind, und ich trieb auf einer Eisscholle dahin, die ständig kleiner wurde und mich so auf einen grausigen Tod vorbereitete.
Derart vergingen viele entsetzliche Stunden. Mehrere meiner Hunde verendeten, und ich stand kurz davor, meinem überwältigenden Mißgeschick zu erliegen, als ich Ihr Schiff vor Anker liegen sah, das mir Hoffnung auf Hilfe und Überleben verhieß. Ich hatte keine Ahnung, daß Schiffe überhaupt so weit nach Norden kommen, und der Anblick verblüffte mich. Rasch riß ich einen Teil meines Schlittens ab, um mir Ruder zurechtzumachen. Mit ihrer Hilfe vermochte ich unter unendlicher Anstrengung mein Eisfloß in Richtung auf Ihr Schiff zu bewegen. Ich hatte mir vorgenommen, falls Sie südlichen Kurs hielten, mich eher wieder der See anzuvertrauen, als meine Absicht aufzugeben. Ich hoffte, Sie dazu bewegen zu können, mir ein Boot zu überlassen, mit dem ich meinen Feind verfolgen könnte. Doch Ihr Kurs lag nordwärts. Sie nahmen mich an Bord, als meine Energie erschöpft war, und ich wäre sehr bald, von meinen vielfältigen Bedrängnissen überwältigt, dem Tod verfallen, den ich immer noch fürchte – denn meine Aufgabe ist noch nicht erfüllt.
Ach! Wann wird mir der Genius, der mich leitet, die Rast gestatten, nach der mich so sehr verlangt, indem er mich zu dem Dämon führt? Oder muß ich sterben, und er lebt weiter? Walton, schwören Sie mir, daß er nicht entkommen soll, wenn ich tot bin, daß Sie ihn suchen und mit seinem Tod meine Rache befriedigen. Sollte ich von Ihnen zu verlangen wagen, meine Bußfahrt auf sich zu nehmen, die Mühsal zu ertragen, die ich auf mich genommen habe? Nein, so egoistisch bin ich nicht. Aber wenn ich tot bin und er erscheinen sollte, wenn die dienstbaren Geister der Rache ihn zu Ihnen führen sollten, schwören Sie, daß er nicht am Leben bleibt – schwören Sie, daß er nicht über den aufgehäuften Berg meines Leids triumphiert und am Leben bleibt, um die Liste seiner bösen Verbrechen zu verlängern. Er ist beredt und überzeugend, und einmal hatten seine Worte sogar Macht über mein Herz: aber trauen Sie ihm nicht. Seine Seele ist so höllisch wie seine Gestalt, voller Verrat und teuflischer Bosheit. Hören Sie ihn nicht an. Rufen Sie Wilhelm, Justine, Clerval, Elisabeth, meinen Vater und den unglücklichen Viktor an und stoßen Sie ihm Ihren Degen ins Herz. Ich werde in der Nähe schweben und den Stahl lenken.
WALTON schreibt weiter:
26. August 17.
Du hast diese sonderbare und fürchterliche Geschichte gelesen, Margaret. Spürst Du nicht, wie das Blut Dir vor Entsetzen gerinnt, wie eben jetzt das meine? Manchmal konnte er, von plötzlicher Qual gepackt, seine Erzählung nicht fortsetzen, dann wieder sprach er mit gebrochener, doch durchbohrender Stimme nur mühsam die so von Herzensnot erfüllten Worte. Seine edlen und schönen Augen blitzten manchmal vor Empörung, dann wieder waren sie in teilnahmsloser Trauer verschleiert oder matt vor unendlichem Leid. Manchmal beherrschte er seine Miene und Stimme und schilderte die grauenhaftesten Geschehnisse ganz ruhig, jedes Zeichen der Erregung unterdrückend, dann, wie ein Vulkan ausbricht, wechselte sein Gesicht unversehens zu einem Ausdruck tollster Wut, wenn er Verwünschungen gegen seinen Verfolger herausschrie.
Sein Bericht hängt folgerichtig zusammen, und er hat ihn mit dem Anschein der schlichtesten Wahrhaftigkeit vorgetragen. Doch ich gestehe Dir, daß mich Felix’ und Safies Briefe, die er mir zeigte, und der Anblick des Ungeheuers von unserem Schiff aus stärker von der Wahrheit seiner Schilderung überzeugten als seine Behauptungen, wie eindringlich und plausibel sie auch sein mochten. Ein solches Ungeheuer existiert also wirklich! Ich kann es nicht bezweifeln, und doch bin ich vor Erstaunen und Bewunderung ganz außer mir. Manchmal habe ich versucht, von Frankenstein Näheres über die Erschaffung des Geschöpfes zu erfahren. Doch in diesem Punkt war er unzugänglich.
»Sind Sie wahnsinnig, mein Freund?« sagte er, »oder wohin führt Sie Ihre unverständige Neugier? Würden auch Sie sich selbst und der Welt einen so teuflischen Feind erschaffen wollen? Nur ruhig! Hören Sie sich meine Schicksalsschläge an und suchen Sie nicht die eigenen zu vermehren.«
Frankenstein bekam heraus, daß ich mir über seine Geschichte Aufzeichnungen machte: er wollte sie sehen und verbessern und ergänzte sie selbst an vielen Stellen. Doch vor allem, indem er Wort und Geist der Gespräche, die er mit seinem Feind geführt hatte, getreu wiedergab. »Da Sie meinen Bericht festgehalten haben«, sagte er, »möchte ich nicht, daß er in verstümmelter Form auf die Nachwelt kommt.«
So ist eine Woche vergangen, während ich der seltsamsten Erzählung lauschte, die je die Phantasie erschuf. Meine Gedanken und jede Regung meiner Seele gehen ganz auf in der Teilnahme für meinen Gast, die seine Geschichte und sein überlegenes und edles Wesen wachgerufen haben. Ich möchte ihn beruhigen, doch kann ich jemandem, der so unendlich schmerzerfüllt ist, der jeder Hoffnung auf Trost so sehr ermangelt, zureden weiterzuleben? Ach nein! Das einzige Glück, das ihm jetzt noch zuteil werden kann, wird es sein, wenn er seine zerrüttete Seele auf den ewigen Frieden und den Tod vorbereitet. Doch einen Trost besitzt er, den Sproß der Einsamkeit und des Fieberwahns: er glaubt, wenn er im Traum mit seinen Freunden spricht und aus diesem Umgang Balsam für seine Leiden oder Anreiz für seine Rache bezieht, sie seien nicht die Gebilde seiner Phantasie, sondern die Menschen selbst, die ihn aus den Regionen einer fernen Welt besuchen. Dieser Glaube verleiht seinen Traumbildern einen feierlichen Ernst, der sie für mich beinahe so beeindruckend und fesselnd macht wie die Wahrheit.
Unsere Gespräche beschränken sich nicht immer auf seine Lebensgeschichte und sein Mißgeschick. In jeder Richtung der allgemeinen Literatur offenbart er unbegrenztes Wissen und eine rasche und durchdringende Auffassungsgabe. Seine Beredsamkeit ist überzeugend und bewegend. Auch kann ich, wenn er einen ergreifenden Vorfall schildert oder sich bemüht, die Regungen des Mitgefühls oder der Liebe zu wecken, ihm nicht ohne Tränen zuhören. Welch ein herrlicher Mensch muß er in den Tagen seines Wohlergehens gewesen sein, wenn er noch im Ruin so edel und göttergleich ist! Er scheint sich seines eigenen Wertes und der Tiefe seines Falls bewußt zu sein.
»In jüngeren Jahren«, sagte er, »glaubte ich
für irgendeine bedeutende Unternehmung ausersehen zu sein. Mein
Gemüt ist tief, doch ich besaß eine kühle Urteilskraft, die mich zu
hervorragenden Leistungen befähigte. Dieses Bewußtsein des Wertes
meines Charakters gab mir Halt, wenn andere sich überwältigt
gefühlt hätten, denn ich hielt es für verbrecherisch, jene Gaben in
nutzlosem Gram wegzuwerfen, die meinen Mitmenschen nützlich sein
könnten. Wenn ich über das Werk nachdachte, das ich vollbracht
hatte, nichts Geringeres als die Erschaffung eines fühlenden und
vernunftbegabten Tieres, konnte ich mich nicht mit der Herde der
gewöhnlichen Erfinder auf eine Stufe stellen. Doch dieser Gedanke,
der mich am Anfang meiner Laufbahn stützte, dient jetzt nur dazu,
mich noch tiefer in den Staub zu stürzen. Alle meine Theorien und
Hoffnungen sind zunichte geworden. Und wie der Erzengel, der nach
der Allmacht strebte, liege ich in Ketten in einer ewigen Hölle.
Meine Phantasie war lebhaft, doch waren meine Fähigkeiten zur
Analyse und praktischen Anwendung stark entwickelt. Mit Hilfe der
Vereinigung dieser Fähigkeiten entwarf ich die Idee der Erschaffung
eines Menschen und führte sie aus. Selbst jetzt noch kann ich mich
nicht ohne heftige Erregung meiner Träumereien entsinnen, solange
das Werk unvollendet war. In meinen Gedanken schwebte ich im
Himmel, einmal über meine Macht frohlockend, einmal glühend
angesichts des Bildes ihrer Auswirkungen. Von klein auf war ich von
stolzen Hoffnungen und einem hochstrebenden Ehrgeiz durchdrungen,
doch wie bin ich gesunken! Ach, mein Freund, hätten Sie mich
gekannt, wie ich früher war, würden Sie mich in diesem Zustand der
Erniedrigung nicht wiedererkennen. Selten kehrte die Verzagtheit in
mein Herz ein. Ein erhabenes Geschick schien mich vorwärtszutragen,
bis ich stürzte, um mich nie, niemals wieder
aufzurichten.«
Mußte ich also diesen bewundernswürdigen Menschen verlieren? Ich
habe mich nach einem Freund gesehnt, ich habe jemanden gesucht, der
mit mir übereinstimmen und mich lieben würde. Sieh, auf dieser öden
See habe ich einen gefunden, doch ich fürchte, ich habe ihn nur
gewonnen, um seinen Wert schätzenzulernen und ihn wieder zu
verlieren. Ich möchte ihn mit dem Leben versöhnen, doch er weist
den Gedanken zurück.
»Ich danke Ihnen, Walton«, sagte er, »für Ihre freundlichen Absichten gegenüber einem so jämmerlichen Wrack, doch wenn Sie von neuen Bindungen und frischer Zuneigung sprechen, meinen Sie, jemand könnte jene ersetzen, die dahingegangen sind? Kann irgendein Mann mir sein, was mir Clerval war, oder irgendeine Frau eine zweite Elisabeth? Sogar wo nicht eine besondere Vortrefflichkeit die Neigung erweckt, besitzen die Gefährten unserer Kindheit stets eine gewisse Macht über unser Gemüt, die ein späterer Freund kaum jemals gewinnen kann. Sie kennen unsere kindlichen Anlagen, die nie gänzlich ausgelöscht werden, welche spätere Veränderung sie auch erfahren mögen. Und sie können unsere Handlungen mit zutreffenderen Schlüssen hinsichtlich der Lauterkeit unserer Beweggründe beurteilen. Eine Schwester oder ein Bruder kann, sofern sich freilich solche Symptome nicht schon sehr früh abgezeichnet haben, den anderen nie des Betrugs oder der Hinterlist verdächtigen, wohingegen man einen anderen, noch so innig verbundenen Freund womöglich wider Willen doch mit Argwohn betrachtet. Doch ich habe Freunde besessen, und sie waren mir lieb nicht nur auf Grund der Gewohnheit des ständigen Umgangs, sondern kraft ihres eigenen Wertes; und wo ich mich auch befinde, wird mir die besänftigende Stimme meiner Elisabeth und das Geplauder Clervals allezeit im Ohr wispern. Sie sind tot, und nur ein einziges Gefühl kann mich in solcher Einsamkeit dazu bewegen, mein Leben zu erhalten. Wäre ich mit einem edlen Vorhaben oder Plan befaßt, der umfassenden Nutzen für meine Mitmenschen verhieße, dann könnte ich weiterleben, um ihn zu vollenden. Doch mein Geschick ist nicht von dieser Art. Ich muß das Wesen, dem ich das Leben gab, verfolgen und vernichten, dann ist mein Los auf Erden erfüllt, und ich darf sterben.«
2. September
Meine geliebte Schwester,
ich schreibe Dir, von Gefahr umge
ben und ohne zu wissen, ob es mir je beschieden ist, das
liebe
England und die noch lieberen Freunde, die dort wohnen,
wiederzusehen. Ich bin von Eisbergen eingeschlossen, die
kein
Entkommen erlauben und jeden Augenblick mein Schiff“ zu
zermalmen drohen. Die tapferen Männer, die ich überredet
habe, mich zu begleiten, erwarten von mir Hilfe, doch ich
habe
keine zu geben. Unsere Lage ist schrecklich bedrückend,
doch
Mut und Hoffnung verlassen mich nicht. Aber es ist
furchtbar,
daran zu denken, daß das Leben all dieser Männer durch
mich
in Gefahr ist. Wenn wir zugrunde gehen, sind meine verrückten Pläne
die Ursache.
Und wie, Margaret, wird Dir zumute sein? Du wirst nichts
von meinem Untergang erfahren und bange auf meine Rückkehr warten.
Jahre werden vergehen, und oft wird Dich die
Verzweiflung überkommen und doch wieder die Hoffnung
martern. Ach, meine geliebte Schwester, das bedrückende Ende Deiner
innigen Zuversicht ist für mich in der Vorstellung
schrecklicher als der eigene Tod. Doch Du hast einen
Gatten
und liebe Kinder; Du kannst noch glücklich sein. Der
Himmel
segne Dich und mache es möglich!
Mein bedauernswerter Gast betrachtet mich mit dem zartesten
Mitgefühl. Er gibt sich Mühe, mir Hoffnung zu machen,
und spricht, als wäre das Leben ein Besitz, den er
hochschätze.
Er erinnert mich daran, wie oft die gleichen Zwischenfälle anderen
Seefahrern zugestoßen sind, die sich in dieses Meer gewagt haben,
und erfüllt mich wider besseres Wissen mit optimistischen
Erwartungen. Sogar die Seeleute spüren die Macht
seiner Beredsamkeit: wenn er spricht, sind sie nicht mehr
hoffnungslos. Er stachelt ihre Tatkraft an, und solange sie seine
Stimme hören, halten sie diese ungeheuren Eisberge für
Maulwurfshügel, die vor der Entschlossenheit des Menschen
weichen werden. Diese Gefühle halten nicht an. Jeder Tag
hinausgeschobener Hoffnung erfüllt sie mit Angst, und ich
fürchte beinahe eine durch diese Verzweiflung ausgelöste
Meuterei.
5. September Soeben hat sich eine Szene von so ungewöhnlichem Interesse abgespielt, daß ich nicht umhinkann, sie aufzuzeichnen, obwohl diese Papiere Dich höchstwahrscheinlich nie erreichen werden.
Wir sind immer noch von Eisbergen eingeschlossen, immer noch in höchster Gefahr, bei ihrem Zusammenstoß zerdrückt zu werden. Es ist bitterkalt, und schon viele meiner unglücklichen Kameraden haben inmitten dieser wüsten Landschaft ihr Grab gefunden. Frankensteins Kräfte nehmen von Tag zu Tag ab. In seinen Augen glimmt noch ein fiebriges Feuer; aber er ist erschöpft, und wenn er sich plötzlich einer noch so geringen Anstrengung unterzieht, versinkt er sogleich wieder in scheinbare Leblosigkeit.
In meinem letzten Brief erwähnte ich meine Befürchtungen hinsichtlich einer Meuterei. Heute morgen, als ich dasaß und meines Freundes bleiches Gesicht betrachtete – seine Augen sind halb geschlossen, die Gliedmaßen schlaff –, schreckte mich ein halbes Dutzend Seeleute auf, die Zutritt in die Kajüte verlangten. Sie kamen herein, und ihr Anführer sprach zu mir. Er eröffnete mir, er und seine Begleiter seien von den übrigen Seeleuten auserwählt worden, sich als Abordnung an mich zu wenden und an mich eine Forderung zu stellen, die ich billigerweise nicht abschlagen könne. Wir seien von Eismauern umschlossen und würden wahrscheinlich nie entrinnen; doch sie fürchteten, falls sich das Eis möglicherweise zerteile und sich eine freie Durchfahrt auftue, könnte ich so unbesonnen sein, meine Reise fortzusetzen und sie in neue Gefahren zu führen, nachdem sie vielleicht diese glücklich überstanden hätten. Sie bestünden deshalb darauf, daß ich mich mit einem feierlichen Versprechen binde, falls das Schiff freikomme, unverzüglich einen südlichen Kurs einzuschlagen.
Diese Rede beunruhigte mich. Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, auch der Gedanke an eine Umkehr, falls wir freikämen, war mir nicht gekommen. Doch konnte ich gerechterweise diese Forderung ablehnen, oder wäre mir das überhaupt möglich? Ich zögerte, bevor ich antwortete. Da raffte sich Frankenstein auf, der bisher geschwiegen hatte und in der Tat kaum die Kraft zu besitzen schien, auch nur zuzuhören. Seine Augen blitzten, und seine Wangen waren von einer vorübergehenden Kraftaufwallung rot überhaucht. Er wandte sich an die Männer und sprach:
»Was wollt ihr damit sagen? Was verlangt ihr von eurem Captain? Laßt ihr euch so leicht von eurem Vorsatz abbringen? Habt ihr das nicht eine glorreiche Expedition genannt? Und weshalb war sie glorreich? Nicht, weil die Fahrt glatt und friedlich verlief wie auf einem südlichen Meer, sondern weil sie voller Gefahren und Schrecken war, weil bei jedem neuen Zwischenfall eure Standhaftigkeit auf die Probe gestellt und euer Mut bewiesen werden sollte, weil die Gefahr und der Tod sie umgaben, und diese solltet ihr herausfordern und überwinden. Deshalb war es eine glorreiche, deshalb war es eine ehrenhafte Unternehmung. Später solltet ihr als Wohltäter der Menschheit gerühmt werden. Man sollte eure Namen verehren als die tapferer Männer, die um der Ehre und um des Nutzens für die Menschheit willen in den Tod gingen. Und siehe da, beim ersten Anschein der Gefahr oder, wenn ihr so wollt, der ersten und furchtbaren Prüfung eures Mutes schreckt ihr zurück und findet euch damit ab, daß man von euch sagen wird, das waren Männer, die nicht genug Stärke besaßen, um Kälte und Gefahr zu ertragen; und sie, die armen Kerle, haben so gefroren, daß sie an ihre warmen Kaminfeuer zurückgekehrt sind. Aber das erfordert doch nicht so viel Vorbereitung: ihr hättet nicht so weit zu fahren und euren Captain der Schande einer Niederlage auszusetzen brauchen, nur um euch als Feiglinge zu erweisen. Oh, seid Männer, oder seid mehr als Männer! Bleibt standhaft und felsenfest bei eurem Vorsatz. Dieses Eis ist nicht aus dem Stoff gemacht wie eure Herzen, es ist veränderlich und kann euch keinen Widerstand leisten, wenn ihr das nicht duldet. Kehrt nicht mit dem Makel der Schande auf der Stirn zu euren Familien zurück. Kehrt als Helden zurück, die gekämpft und gesiegt haben und die nicht wissen, was es heißt, dem Gegner den Rücken zuzuwenden!«
Er brachte das mit einer den verschiedenen in seiner Ansprache ausgedrückten Gefühlen so angepaßten Stimme vor, mit Augen so voll erhabenen Strebens und Heldenmuts, daß es kein Wunder war, wenn diese Männer ergriffen waren. Sie sahen einander an und waren keiner Antwort fähig. Dann sprach ich, ich hieß sie gehen und über das Gesagte nachdenken, ich würde sie nicht weiter nach Norden führen, wenn sie unbedingt das Gegenteil wollten, doch ich hoffe, bei einiger Überlegung werde ihr Mut zurückkehren.
Sie gingen, und ich wandte mich meinem Freund
zu, doch er war entkräftet zurückgesunken und beinahe
leblos.
Wie das alles enden wird, weiß ich nicht, aber ich würde eher
sterben als in Schande zurückkehren – ohne mein Vorhaben ausgeführt
zu haben. Doch ich fürchte, das steht mir bevor, denn die Männer,
denen keine Vorstellungen von Ruhm und Ehre Rückhalt geben, können
ihre jetzige Mühsal freiwillig gewiß nicht weiter ertragen.
7. September Der Würfel ist gefallen. Ich habe
der Umkehr zugestimmt, wenn wir nicht vorher umkommen. So sind
meine Hoffnungen durch Feigheit und Unentschlossenheit vernichtet,
ich kehre ohne neue Erkenntnisse und enttäuscht heim. Es erfordert
mehr Gleichmut, als ich ihn aufbringe, diese Ungerechtigkeit mit
Geduld zu ertragen.
12. September
Es ist vorbei, ich kehre nach England zurück. Ich habe meine Hoffnungen auf praktischen Nutzen und Ruhm verloren – ich habe meinen Freund verloren. Doch ich will mich bemühen, Dir, meine liebe Schwester, diese bitteren Umstände im einzelnen zu schildern. Und solange mich die Fahrt nach England und zu Dir trägt, will ich den Mut nicht sinken lassen.
Am 9. September begann das Eis sich zu regen, und aus der Ferne war Donnergetöse zu hören, als die Inseln in allen Richtungen aufrissen und auseinanderbrachen. Wir schwebten in höchster Gefahr. Doch da wir nur tatenlos zusehen konnten, widmete ich den größten Teil meiner Aufmerksamkeit meinem unglücklichen Gast, dessen Befinden sich in solchem Maße verschlechterte, daß er ganz ans Bett gefesselt war. Hinter uns brach das Eis auseinander und trieb mit großer Gewalt nach Norden ab. Von Westen her kam eine Brise auf, und am 11. wurde die Durchfahrt in südlicher Richtung völlig frei. Als die Seeleute das sahen und erkannten, daß ihre Rückkehr in die Heimat anscheinend gesichert war, erhoben sie ein ungestümes Freudengeschrei, laut und lang anhaltend. Frankenstein, der gerade schlummerte, erwachte und fragte nach dem Grund für den Lärm. »Sie jubeln«, sagte ich, »weil sie bald nach England zurückkehren!«
»Kehren Sie also wirklich um?«
»Leider ja! Ich kann mich ihren Forderungen nicht widersetzen. Ich
kann sie nicht widerstrebend in die Gefahr führen und
muß umkehren.«
»Tun Sie das, wenn. Sie wollen, aber ich kehre nicht um. Sie mögen
Ihr Vorhaben aufgeben, aber meines ist mir vom Himmel auferlegt,
und ich wage es nicht. Ich bin geschwächt, aber gewiß werden mir
die Geister, die meiner Rache beistehen, genügend Kraft verleihen.«
Mit diesen Worten suchte er vom Bett aufzuspringen, doch die
Anstrengung war zu groß für ihn. Er sank zurück und verlor das
Bewußtsein.
Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam, und ich dachte mehrmals, sein Leben wäre ganz erloschen. Endlich schlug er die Augen auf. Er atmete mit Mühe und konnte nicht sprechen. Der Wundarzt gab ihm eine beruhigende Arznei und wies uns an, ihn nicht zu stören. Inzwischen eröffnete er mir, mein Freund habe mit Sicherheit nicht mehr viele Stunden zu leben.
Das Urteil war gesprochen, und ich konnte nur trauern und mich in Geduld fassen. Ich saß an seinem Bett und beobachtete ihn. Seine Augen waren geschlossen, und ich glaubte, er schlafe, doch nach einiger Zeit rief er mich mit schwacher Stimme an und sprach: »Ach! Die Kraft, auf die ich zählte, hat mich verlassen. Ich spüre, daß ich bald sterben werde, und er, mein Feind und Peiniger, ist womöglich noch am Leben. Glauben Sie nicht, Walton, daß ich in den letzten Augenblicken meines Lebens jenen brennenden Haß und glühenden Rachedurst empfinde, den ich einst geäußert habe, doch ich fühle mich im Recht, wenn ich meinem Gegner den Tod wünsche. In den letzten Tagen war ich damit beschäftigt, mein bisheriges Verhalten zu überprüfen, und finde es nicht tadelnswert. In einer Anwandlung wahnwitziger Begeisterung schuf ich ein vernunftbegabtes Wesen und war ihm gegenüber gehalten, für sein Glück und Wohlergehen zu sorgen, soweit es in meiner Macht stand. Das war meine Pflicht, aber es gab noch andere, überragende Pflichten. Meine Verpflichtung gegenüber den Wesen meiner eigenen Gattung hatten größeren Anspruch auf Berücksichtigung, weil sie in größerem Maße Glück oder Unglück umfaßten. Von dieser Einsicht geleitet, weigerte ich mich zu Recht, eine Gefährtin für das erste Geschöpf zu schaffen. Er hatte eine Bösartigkeit und einen selbstsüchtigen Hang zum Übel ohnegleichen offenbart; er tötete meine Freunde, er weihte Menschen dem Tod, die feinstes Empfinden, eine glückliche Veranlagung und Klugheit besaßen, und ich weiß nicht, wo dieser Rachedurst noch enden mag. Selbst unglücklich, muß er sterben, damit er niemanden mehr unglücklich macht. Die Aufgabe, ihn zu vernichten, kam mir zu, doch ich habe versagt. Von egoistischen und bösartigen Beweggründen getrieben, forderte ich Sie auf, sich meiner unvollendeten Aufgabe anzunehmen, und jetzt, da mich nur Verstand und Lauterkeit dazu bewegen, wiederhole ich diese Bitte.
Doch kann ich nicht von Ihnen verlangen, Ihrem Vaterland und Ihren Freunden zu entsagen, um diese Aufgabe zu erfüllen, und jetzt, wo Sie nach England zurückkehren, werden Sie kaum Aussicht auf eine Begegnung mit ihm haben. Doch diese Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte und das sorgfältige Abwägen dessen, was Sie für Ihre Pflicht halten mögen, überlasse ich Ihnen. Der nahende Tod hat meine Urteilskraft und mein Denken bereits getrübt. Ich wage Sie nicht zu bitten, das zu tun, was ich für richtig halte, denn womöglich täuscht mich immer noch die Leidenschaft.
Daß er als ein Werkzeug des Unheils weiterleben soll, belastet mich. In jeder anderen Hinsicht ist diese Stunde, da ich jeden Augenblick meine Erlösung erwarte, die einzige glückliche, die ich seit mehreren Jahren genossen habe. Die Gestalten der geliebten Toten schimmern vor meinen Augen, und ich eile in ihre Arme. Leben Sie wohl, Walton! Suchen Sie das Glück in der Stille und meiden Sie den Ehrgeiz, selbst wenn es nur der scheinbar harmlose wäre, sich in der Wissenschaft und in Entdeckungen hervorzutun. Aber warum sage ich das? Ich bin unter solchen Hoffnungen zugrunde gegangen, doch ein anderer mag Erfolg haben.«
Seine Stimme war immer schwächer geworden, und schließlich schwieg er, von der Anstrengung erschöpft. Nach etwa einer halben Stunde versuchte er wieder zu sprechen, vermochte es aber nicht. Er drückte mir kraftlos die Hand, und seine Augen schlossen sich für immer, während der sanfte Glanz eines Lächelns von seinen Lippen verblaßte.
Margaret, was kann ich zu dem viel zu frühen Erlöschen dieses großartigen Geistes äußern? Was kann ich sagen, das Dich in die Lage versetzt, die Tiefe meiner Trauer nachzuempfinden? Alles, was ich aussprechen könnte, wäre unzulänglich und schwach. Meine Tränen fließen, eine Wolke der Enttäuschung überschattet mein Gemüt. Doch ich fahre auf England zu, und dort finde ich vielleicht Trost.
Ich werde unterbrochen. Wovon künden diese Geräusche? Es ist Mitternacht. Der Wind weht günstig, und die Wache an Deck regt sich kaum. Wieder, es ist ein Laut wie von einer menschlichen Stimme, aber rauher. Sie kommt aus der Kajüte, wo noch immer Frankensteins sterbliche Hülle liegt. Ich muß aufstehen und nachsehen. Gute Nacht, liebe Schwester.
Großer Gott! Welche Szene hat sich soeben abgespielt! Mir schwindelt noch bei der Erinnerung. Ich weiß kaum, ob ich die Macht haben werde, sie zu schildern. Doch die Geschichte, die ich niedergeschrieben habe, wäre ohne diese letzte und erstaunliche Katastrophe unvollständig.
Ich betrat die Kajüte, wo der Leichnam meines unglücklichen und bewundernswerten Freundes lag. Über ihn neigte sich eine Gestalt, die zu beschreiben ich keine Worte finde. Riesenhaft von Statur, doch roh und mißgestaltet in den Proportionen. Als er sich über den Sarg neigte, war sein Gesicht von langen, zerzausten Locken verborgen. Doch sah ich seine mächtige Hand ausgestreckt, der Farbe und der geweblichen Beschaffenheit nach einer Mumie ähnelnd. Als er mich kommen hörte, brach er seine bestürzten und kummervollen Ausrufe ab und sprang zum Fenster. Nie habe ich einen so grausigen Anblick wie sein Gesicht gesehen, von so abstoßender, schauderhafter Häßlichkeit. Unwillkürlich schloß ich die Augen und suchte mich zu erinnern, wie sich meine Pflichten gegenüber diesem Würger verhielten. Ich rief ihn an, stehenzubleiben.
Er verhielt den Schritt und sah mich verwundert an. Und sich wieder dem leblosen Körper seines Schöpfers zuwendend, schien er meine Anwesenheit zu vergessen, und jede Miene und Geste schienen der wildesten Aufwallung einer unbeherrschbaren Leidenschaft zu gehorchen.
»Auch das ist mein Opfer!« rief er. »Mit seiner Ermordung sind meine Verbrechen vollbracht. Der elende Lauf meines Daseins hat sein Ende erreicht! O Frankenstein! Edelmütiger und aufopfernder Mensch! Was nützt es, daß ich dich jetzt bitte, mir zu verzeihen? Ich, der dich unwiderruflich umgebracht hat, indem ich alle umbrachte, die du liebtest. Ach! Er ist erkaltet, er kann mir nicht antworten.«
Seine Stimme klang erstickt. Mein erster Impuls hatte mich zur Erfüllung meiner Pflicht gedrängt, dem letzten Wunsch meines Freundes zu gehorchen und seinen Feind zu töten, doch stockte ich jetzt in einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl. Ich näherte mich diesem ungeheuren Wesen. Ich wagte noch nicht einmal, meine Augen zu seinem Gesicht zu erheben, seine Häßlichkeit hatte etwas so Angsteinflößendes und Unirdisches an sich. Ich wollte sprechen, doch die Worte erstarben mir auf den Lippen. Das Ungeheuer fuhr fort, wilde und abgerissene Selbstvorwürfe auszustoßen. Schließlich raffte ich soviel Mut zusammen, um ihn während einer Pause im Sturm seiner Leidenschaft anzusprechen: »Deine Reue«, sagte ich, »ist jetzt überflüssig. Hättest du auf die Stimme des Gewissens gehört und den Stachel der Reue beachtet, ehe du deine teuflische Rache bis zum Äußersten getrieben hattest, wäre Frankenstein noch am Leben.«
»Träumst du denn?« gab der Dämon zurück, »glaubst du denn, ich sei damals für Pein und Reue empfindungslos gewesen? – Er«, fuhr er fort und wies auf den Leichnam, »er hat bei der Vollendung der Tat – ach! nicht den zehntausendsten Teil der Qual gelitten, die mich während des langwierigen Vorgangs ihrer Ausführungen erfüllte. Eine fürchterliche Selbstsucht trieb mich vorwärts, während mein Herz von Reue vergiftet war. Meinst du, Clervals Stöhnen wäre Musik in meinen Ohren gewesen? Mein Herz war dazu gebildet und geschaffen, für Liebe und Sympathie empfänglich zu sein. Und als es das Unglück zu Bosheit und Haß verbildete, nahm es die gewaltsame Veränderung nur unter solchen Folterqualen hin, wie du sie dir nicht einmal vorstellen kannst.
Nach dem Mord an Clerval kehrte ich in die Schweiz zurück, mit gebrochenem Herzen und verzweifelt. Ich bemitleidete Frankenstein, mein Mitleid steigerte sich zu Abscheu: ich verabscheute mich selbst. Doch als ich entdeckte, daß er, der Urheber zugleich meines Daseins und dessen unaussprechlichen Elends, auf Glück zu hoffen wagte, daß er, während er Leid und Verzweiflung auf mich häufte, selbst sein Glück in Gefühlen und Leidenschaften suchte, deren Genuß mir für immer verwehrt war, da erfüllten mich machtloser Neid und bittere Empörung mit einem unersättlichen Rachedurst. Ich entsann mich meiner Drohung und beschloß, sie auszuführen. Ich wußte, daß ich damit für mich selbst eine tödliche Folter vorbereitete. Doch ich war der Sklave, nicht der Gebieter eines Impulses, den ich verabscheute und dem ich doch gehorchen mußte. Aber als sie starb! – nein, damals war ich nicht unglücklich. Ich hatte jedes Fühlen abgestreift, jede Qual unterdrückt, um im Übermaß meiner Verzweiflung zu schwelgen. Von nun an wurde das Böse für mich das Gute. Hatte es mich erst einmal so weit getrieben, blieb mir keine andere Wahl, als meine Natur dem Element anzupassen, das ich freiwillig gewählt hatte. Die Vollendung meines teuflischen Planes wurde zu einer unstillbaren Leidenschaft. Und jetzt ist er am Ende: dort liegt mein letztes Opfer!«
Anfangs war ich von der Darstellung seines Unglücks ergriffen. Doch als ich mir in Erinnerung rief, was Frankenstein über seine Macht der Beredsamkeit und Überredungskünste gesagt hatte, und als ich wieder die Augen auf die leblose Hülle meines Freundes richtete, flammte die Entrüstung erneut in mir auf. »Scheusal!« rief ich, »du hast gut herkommen, um über die Verheerung zu winseln, die du angerichtet hast. Du wirfst eine Fackel in die Häuser, und wenn sie niedergebrannt sind, sitzt du in den Ruinen und bejammerst ihren Untergang. Heuchlerischer Unhold! Wäre er, den du betrauerst, noch am Leben, wäre er immer noch das Ziel, würde er wieder die Beute deiner verfluchten Rache. Nicht Mitleid fühlst du. Du klagst nur, weil das Opfer deiner Bosheit jetzt deiner Macht entzogen ist.«
»Ach, so ist es nicht – so nicht«, unterbrach mich das Wesen, »doch solch einen Eindruck muß dir das verschaffen, was der Sinn meiner Taten zu sein scheint. Doch ich suche kein Mitgefühl in meinem Elend. Nie werde ich Sympathie finden. Als ich sie anfangs suchte, war es die Liebe zum Guten, waren es die Gefühle des Glücks und der Zuneigung, von denen mein ganzes Wesen überströmte, an denen ich teilzuhaben wünschte. Doch jetzt, da das Gute für mich zum Schatten geworden ist und das Glücksgefühl und die Zuneigung in bittere und angeekelte Verzweiflung umgeschlagen sind, sollte ich nach Sympathie suchen? Ich begnüge mich damit, allein zu leiden, solange meine Leiden noch dauern. Wenn ich sterbe, ist es mir ganz recht, daß Abscheu und Verachtung auf meinem Andenken lasten. Einst ließ sich meine Phantasie mit Träumen vom Guten, von Ruhm und Lebensfreude beschwichtigen. Einst hoffte ich fälschlich, Wesen zu begegnen, die mir meine äußere Gestalt verzeihen und mich um der vortrefflichen Eigenschaften willen lieben würden, die ich zu entwickeln vermochte. Ich hatte mich mit edlen Gedanken von Ehre und aufopfernder Hingabe genährt. Doch jetzt hat mich das Verbrechen noch unter das gemeinste Tier erniedrigt. Keine Schuld, kein Unheil, keine Bosheit, kein Unglück läßt sich mit dem meinen messen. Wenn ich das furchtbare Verzeichnis meiner Sünden überfliege, kann ich nicht glauben, daß ich dasselbe Geschöpf bin, dessen Gedanken einst von den erhabenen und überirdischen Visionen der Schönheit und Majestät der Güte erfüllt waren. Doch es ist nun einmal so: der gefallene Engel wird zu einem bösartigen Teufel. Doch sogar jener Feind Gottes und der Menschen hatte in seiner Verlassenheit Freunde und Genossen, ich bin allein.
Du, der Frankenstein seinen Freund nennt, scheinst etwas von meinen Verbrechen und seinen Heimsuchungen zu wissen. Doch bei der Darstellung, die er dir davon gab, konnte er nicht die Stunden und Monate der Pein aufrechnen, die ich, von ohnmächtigen Leidenschaften verzehrt, erduldete. Denn während ich seine Hoffnungen zerstörte, befriedigte ich nicht mein eigenes Begehren. Es blieb beständig, glühend und verlangend; immer noch begehrte ich nach Liebe und Gemeinschaft und wurde unveränderlich zurückgestoßen. Lag darin keine Ungerechtigkeit? Soll ich als der einzige Verbrecher gelten, wo sich doch das ganze Menschengeschlecht gegen mich versündigt hat? Warum haßt du nicht Felix, der seinen Freund mit Beschimpfungen von seiner Tür gejagt hat? Warum verfluchst du nicht den Bauern, der den Retter seines Kindes umzubringen versuchte? Nein, das sind alles anständige und makellose Menschen! Ich, der Unglückliche und Verlassene, bin eine Mißgeburt, die man verachten und mit Fußtritten verjagen und niedertreten kann. Jetzt noch kocht mir das Blut bei der Erinnerung an diese Ungerechtigkeit.
Aber es ist wahr, daß ich ein Scheusal bin. Ich habe die Lieblichen und die Hilflosen ermordet. Ich habe die Unschuldigen im Schlaf erwürgt und dem, der weder mir noch sonst einem lebenden Wesen je ein Leid zugefügt hatte, die Kehle zugedrückt. Ich habe meinen Schöpfer, das erlesene Muster aller Eigenschaften, die bei den Menschen der Liebe und Bewunderung wert sind, dem Unglück geweiht, ich habe ihn sogar bis in diesen nicht wiedergutzumachenden Untergang verfolgt. Da liegt er, weiß und kalt im Tod. Du haßt mich, aber dein Abscheu kann dem nicht gleichkommen, mit dem ich mich selbst betrachte. Ich blicke die Hände an, die die Taten ausgeführt haben. Ich denke an das Herz, in dem der Plan dazu entstand, und sehne mich nach dem Augenblick, wenn diese Hände sich auf meine Augen legen, wenn diese Idee nicht mehr in meinen Gedanken spukt.
Fürchte nicht, daß ich das Werkzeug künftigen Unheils sein werde. Mein Werk ist beinahe vollendet. Weder dein noch sonst eines Menschen Tod ist erforderlich, um den Lauf meines Daseins zu beenden und das zu vollbringen, was getan werden muß. Doch es erheischt den meinen. Glaube nicht, daß ich diesen Opfergang lange aufschiebe. Ich werde dein Schiff auf der Eisscholle verlassen, die mich hergebracht hat, und das allernördlichste Ende des Erdballs suchen. Ich werde meinen Scheiterhaufen zusammentragen und diesen elenden Leib zu Asche verbrennen, auf daß seine Überreste keinem neugierigen und verruchten Schurken Aufschlüsse geben können, der ein Wesen schaffen möchte, wie ich es war. Ich werde sterben. Ich werde nicht mehr die Qualen fühlen, die mich jetzt verzehren, oder die Beute unbefriedigter, doch nie verlöschender Gefühle sein. Er ist tot, der mich ins Dasein rief. Und wenn ich nicht mehr bin, wird sogar die Erinnerung an uns beide rasch verfliegen. Ich werde nicht mehr die Sonne oder die Sterne sehen oder spüren, wie der Wind über meine Wangen streicht. Licht, Gefühl und Bewußtsein werden vergehen, und in diesem Zustand muß ich mein Glück finden. Vor einigen Jahren, als die Bilder, die diese Welt bietet, zum ersten Mal vor mir aufgingen, als ich die wohltuende Wärme des Sommers spürte und das Rascheln des Laubes und das Zwitschern der Vögel hörte und als dies alles für mich bedeutete, hätte ich geweint, wenn ich hätte sterben müssen, jetzt ist es mein einziger Trost. Von Verbrechen besudelt und von bitterster Reue zerrissen, wo, anders als im Tod kann ich Ruhe finden?
Lebwohl! Ich verlasse dich und mit dir den letzten des Menschengeschlechts, den diese Augen jemals erblicken werden. Ade, Frankenstein! Wärst du noch am Leben und hegtest immer noch den Wunsch nach Rache gegen mich, könntest du ihn besser befriedigen, indem du mich am Leben ließest, als durch meine Vernichtung. Aber so war es nicht, du hast meinen Tod gesucht, damit ich nicht noch größeres Unglück verursache. Und hättest du, auf eine mir unbekannte Weise, nicht zu denken und zu fühlen aufgehört, würdest du mir keine größere Strafe wünschen, als ich sie jetzt erlebe. Sosehr du im Innersten zerstört warst, so blieb doch meine Qual größer als die deine; denn der bittere Stachel der Reue wird nicht aufhören, in meinen Wunden zu bohren, bis der Tod sie für immer schließt.
Doch bald«, rief er mit schwermütiger und feierlicher Begeisterung, »werde ich sterben, und was ich jetzt empfinde, wird nicht mehr empfunden. Bald sind diese brennenden Seelenqualen erloschen. Triumphierend werde ich meinen Scheiterhaufen besteigen und in der Todesqual der folternden Flammen frohlocken. Das Licht des Brandes wird verblassen, die Winde werden meine Asche ins Meer wehen. Mein Geist wird in Frieden ruhen, oder falls er denkt, wird er gewiß nicht so denken. Lebewohl.«
Mit diesen Worten sprang er aus dem Kajütenfenster auf die Eisscholle, die am Schiff lag. Bald hatten ihn die Wellen davongetragen, und er verlor sich in der Dunkelheit und Ferne.
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